Ägypten nach Wahl-Chaos am Abgrund

(c) EPA (MOHAMED MESSARA)
  • Drucken

Machtkampf in Kairo: Die Wahlbehörde will das Ergebnis der ägyptischen Präsidentenwahl nicht veröffentlichen. Die Muslimbrüder wittern Manipulation.

Kairo. Ägypten hält den Atem an. Gleichsam über Nacht hat sich das Land gewandelt. Überall in Kairo blickt man in ängstliche oder verärgerte Gesichter. „Wir erleben die wichtigsten 48 Stunden unserer Geschichte“, schreibt die staatliche Zeitung „al-Ahram“. Seit die Wahlkommission verlautbarte, die Ergebnisse der Präsidentenwahl würden nicht wie geplant am Donnerstag, sondern erst in einigen Tagen bekannt gegeben, schwirren wilde Gerüchte durch Kairo. Die Kommission brauche mehr Zeit, um die knapp 400 Einwände gegen den Wahlverlauf aus den Lagern der beiden Kandidaten Mohammed Mursi und Ahmed Shafik zu prüfen, hieß es. In Wahrheit aber könnte es darum gehen, mehr Zeit für juristische Manöver hinter den Kulissen zu gewinnen, um Ex-Premier Shafik trotz geringerer Stimmenzahl in den Sattel zu heben.

Generäle sichern ihren Einfluss

Ein Sieg des ehemaligen Mubarak-Mannes Shafik würde Ägypten zunächst einmal schwere innere Turbulenzen bescheren. Gleichzeitig könnte aber der vom Obersten Militärrat betriebene Richtungswechsel nicht mehr rückgängig gemacht werden. In den vergangenen Tagen haben sich die Generäle mit einer Serie von Dekreten die Gesetzgebungskompetenz des zuvor aufgelösten Parlaments, die Hoheit über den Staatshaushalt, die Kontrolle über die Sicherheitskräfte sowie die Kontrolle über die Ausarbeitung der Verfassung verschafft. Damit verlängert sich die Übergangsphase von der Herrschaft der Armee zur Einsetzung einer zivilen Führung auf unbestimmte Zeit, mindestens jedoch bis Ende 2013. Gleichzeitig wurden die Vollmachten des künftigen Präsidenten von vornherein beschnitten.

Nach inoffiziellen Ergebnissen in den 27 Verwaltungseinheiten liegt Muslimbruder Mursi mit rund 900.000 Stimmen vor Ex-General Shafik. Doch Shafiks Mitstreiter behaupten, die Muslimbrüder hätten aus der zentralen Druckerei eine Million Wahlzettel beiseitegeschafft, angekreuzt und in die Urnen geschmuggelt. Das Mursi-Lager wiederum will Beweise haben, dass zehntausende Polizisten und Soldaten in Zivil mitgewählt haben, obwohl sie per Gesetz von der Stimmabgabe ausgeschlossen sind. Auffällig jedenfalls ist die in den inoffiziellen Tabellen ausgewiesene relativ hohe Wahlbeteiligung. Bei der ersten Runde vor vier Wochen, als lange Schlangen vor den Wahllokalen warteten, lag sie offiziell bei 43,4 Prozent. Bei der Stichwahl, bei der sich die Menschen nur zögernd einfanden, soll sie nun deutlich über 50 Prozent gelegen sein. Zudem fehlen in den Statistiken die ungültigen Stimmen, obwohl viele Gruppen zu dieser Art des Boykotts aufgerufen haben.

Die Armee jedenfalls habe bereits einen Plan B in der Schublade, berichten ägyptische Medien. Sollte Shafik zum Präsidenten ernannt werden, rechnen die Militärplaner mit einer „Welle schwerer Unruhen“. Alle notwendigen Vorkehrungen würden getroffen, um öffentliche Gebäude und Polizeistationen zu schützen, hieß es. Speziell gesichert werden sollen auch die Kirchen, weil die meisten Kopten aus Angst vor den Islamisten Shafik gewählt haben.

Shafik will Ergebnis akzeptieren

Angesichts dieses Nervenkriegs versuchten beide Seiten am Donnerstag, die Lage etwas zu beruhigen. Der abgesetzte Parlamentspräsident der Muslimbruderschaft, Saad al-Katatni, versicherte, man werde im Fall einer Niederlage nicht zu Gewalt greifen und Ägypten nicht in einen Bürgerkrieg wie in Algerien stürzen. Shafik wiederum ließ die ausländische Presse zusammentrommeln, um feierlich zu erklären, er werde das offizielle Ergebnis akzeptieren, „wie auch immer es ausfällt“. Gleichzeitig streuten seine Mitarbeiter jedoch, man sei von den „höchsten Autoritäten des Staates“ informiert worden, dass Shafik gewonnen habe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

aegypten Mursi will Beziehung
Außenpolitik

Ägypten: Mursi will Beziehung zum Iran verbessern

Der künftige Präsident des bevölkerungsreichsten arabischen Landes, der Muslimbruder Mursi, strebt neuen außenpolitischen Kurs an. Er möchte den Friedensvertrag mit Israel überprüfen.
Außenpolitik

Islamisten-Präsident ohne Spielraum

Der Muslimbruder Mohammed Mursi verspricht, ein Präsident aller Ägypter zu sein. Doch seine Flügel hat ihm die Armee schon vor dem Amtsantritt gestutzt.
Mursi will engere Beziehungen
Außenpolitik

Ägypten: Islamist Mursi will engere Beziehungen zu Iran

Unter dem Jubel seiner Anhänger wurde der Muslimbruder zum Wahlsieger gekürt. Nun will der neue ägyptische Präsident ein "strategisches Gleichgewicht mit dem Iran" schaffen. EU und USA sprechen von einem "Meilenstein".
Außenpolitik

Islamist Mohammed Mursi ist Staatschef Ägyptens

Zehntausende feierten den Sieg von Muslimbruder Mohammed Mursi über Ahmed Shafik. Gerüchte über einen Deal des Militärs über das weitere Machtarrangement machten die Runde.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.