Aufbruch in eine „grüne Weltwirtschaft“ bis auf Weiteres vertagt

(c) AP (Aaron Favila)
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Das Riesen-Event in Rio de Janeiro blieb hinter den ohnehin geringen Erwartungen zurück. Konkrete Ziele sucht man in der Abschlusserklärung vergeblich. Umweltschützer kritisieren die Politiker heftig.

Buenos Aires/Rio de Janeiro. Nach einer Woche im Ausnahmezustand kann Rio de Janeiro zurückkehren zu seinem üblichen Chaos: Wenn die letzten der 50.000 in- und ausländischen Besucher, darunter fast 100 Staats- oder Regierungschefs, wieder abgereist sind, wird sich nicht allzu viel verändert haben an der Schönheit unterm Zuckerhut. Und auch nicht in der Welt. Das ist die enttäuschendste Nachricht dieser Woche.

Der sogenannte „Nachhaltigkeitsgipfel“ der Vereinten Nationen ist am Freitag ohne nachhaltiges Ergebnis beendet worden. Die bis zum Ende verbliebenen Staatschefs unterzeichneten eine Schlusserklärung, die nicht viel mehr verkündet als einen schönen, aber auch irgendwie verräterischen Titel: „Die Zukunft, die wir wünschen“. Die offenbar gewünschte Zukunft muss ohne konkrete Ziele, Projekte und Finanzierungszusagen auskommen.

Noch ehe die Konferenz am Mittwoch offiziell begonnen hatte, war sie im Grunde genommen schon zu Ende. Brasiliens Außenminister António Patriota hatte nämlich bereits Dienstagabend verkündet, die Schlusserklärung des Gipfels sei fertig und werde auch nicht mehr verändert. Da verflüchtigte sich der viel beschworene „Geist von Rio“ aus dem Riocentro, dem Messezentrum in Barra de Tijuca. Dieses wurde vor zwanzig Jahren für die erste Rio-Konferenz angelegt, auf der zum ersten Mal die Umwelt das zentrale Thema der Staatengemeinschaft war. Damals kam er hernieder auf die Stadt am Strand, der Geist von Rio. Viele Umweltaktivisten hofften, dass nun in der „cidade maravilhosa“, der wunderbaren Stadt, auch der Aufbruch in eine „grüne“ Weltwirtschaft gelingen möge.

Barbusig gegen die Zerstörung der Natur

Mehr als 3000 Events fanden während der vergangenen Wochen statt, Versammlungen indigener Völker, Themenpartys am Strand, Kunstausstellungen, sogar ein Aufmarsch von Feministinnen, die barbusig gegen die Zerstörung der Natur demonstrierten. Aktivisten bauten einen Panzer aus Brot, errichteten eine Favela-Imitation und stellten zwei riesige Fische an den Strand, gefertigt aus tausenden Plastikflaschen. So bunt all diese Happenings waren, so ernst war ihre gemeinsame Botschaft: Es muss sich etwas ändern. Die Ressourcen unseres Planeten sind begrenzt, weiteres Wachstum darf nicht weiteren Raubbau an der Natur bedeuten.

Doch während das Rahmenprogramm in vielen Farben erstrahlte, wurden die Mienen im Riocentro zunehmend grau. Schon bei den Vorverhandlungen am UN-Sitz in New York hatte sich abgezeichnet, dass es viele Visionen einer grünen Weltwirtschaft gibt – und dass vor allem die Schwellenländer nicht bereit sind, auf die Entwicklung eigener Industrien zu verzichten. Gespickt mit Klammern, Einschüben und Fußnoten war der Entwurf für die Schlusserklärung zwischenzeitlich auf 280 Seiten angeschwollen.

Brasilien wollte Dokument um jeden Preis

Als Brasiliens Außenminister vorigen Freitag die Sache in die eigenen Hände nahm, waren erst 30 Prozent des gesamten Inhalts akkordiert. „Gemessen an dem haben wir nun einen großen Erfolg erzielt“, lächelte der Chefdiplomat, als er am Dienstagabend das schließlich 49-seitige Schlussdokument präsentierte, das am Freitag von den Staatschefs unterschrieben wurde. „Wenn alle Seiten unzufrieden sind, nennt man das Kompromiss“, sagte Patriota, der um jeden Preis ein Dokument vorlegen wollte.

Und unzufrieden sind tatsächlich viele: Österreichs Umweltminister Niki Berlakovich war so enttäuscht, dass er seine Reise nach Rio absagte. Zugestimmt hat Österreich, das von Außenamtsstaatssekretär Wolfgang Waldner vertreten wurde, schließlich aber doch. Waldner sieht das Abkommen auch als „Schritt in die richtige Richtung“.

WWF: „Ein Gipfel der Schande“

Viele NGOs bezweifeln allerdings, dass es sich überhaupt um einen Schritt handelt, und wenn doch, dann einen in die falsche Richtung: „Der Erdgipfel 2012 war ein Gipfel der Schande für kommende Generationen“, so das radikale Urteil des WWF. Und Alexander Egit, Geschäftsführer von Greenpeace Österreich, ist überzeugt, dass „die kurzfristigen Profitinteressen der Industrie offensichtlich selbst bei einer Umwelt- und Entwicklungskonferenz Priorität haben.“

Offenbar fällt es den meisten Regierungen schwer, in die Zukunft zu denken, wenn schon die Gegenwart kaum zu bewältigen ist. US-Präsident Barack Obama, Briten-Premier David Cameron, Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, aber auch Österreichs Regierungschef Werner Faymann waren nicht im Riocentro, als Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff am Mittwoch ihre Begrüßungsrede hielt. Stolz erzählte sie, dass Brasilien 45 Prozent seiner Energie aus Wasserkraft beziehe, freiwillig Gasemissionsziele verkündet und ein Riesengebiet im Amazonasbecken zur Schutzzone erklärt habe. Sie erwähnte freilich nicht, dass sie kürzlich die Kfz-Steuern gesenkt hatte, um die Autoindustrie anzukurbeln. Die ist eine Schlüsselindustrie in dem Land, das im abgelaufenen Jahrzehnt 30 Millionen Menschen aus der Armut in die Mittelklasse hievte.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, der seine Enttäuschung nicht verhehlte, warnte, dass die wachsende Erdbevölkerung 2030 um 50 Prozent mehr Lebensmittel brauchen wird als heute. Agro-Exporteure wie Argentinien versichern, dass diese Nahrung kaum zur Gänze mit Ökosiegeln produziert werden kann. Argentiniens wichtigstes Exportgut ist und bleibt genmanipuliertes Soja.

Diesmal hat sich die Welt schlecht gelaunt vom Zuckerhut verabschiedet. Bei den nächsten Großevents soll das anders sein. 2013 kommt der Papst, in zwei Jahren die Fußball-WM. Und 2016 darf Rio hoffen, dass ein Geist zumindest zwei Wochen lang auf die Stadt herabsteigt – der olympische.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2012)

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