Feind-"Bild": Prügel zum Geburtstag

FeindBild Pruegel Geburtstag
FeindBild Pruegel Geburtstag(c) Dapd (Steffi Loos)
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Die deutsche Boulevardzeitung "Bild" wird am Sonntag 60 Jahre alt. Das Blatt hat immer noch die Macht, Menschen zuerst zu Helden und kurz darauf zu Verlierern zu erklären. Seine Hochblüte ist dennoch vorbei.

Selten kommen die Glückwünsche anderer Medien an die „Bild“ von Herzen. Als das Boulevardblatt 2002 seinen 50.Geburtstag beging, gratulierte die „Süddeutsche Zeitung“ mit einem Text über die Witwe des Schauspielers Raimund Harmstorf, bekannt durch die Verfilmung des Jack-London-Klassikers „Der Seewolf“. In der Nacht vom 2.Mai 1998 hatte er sich erhängt, nachdem die „Bild“ über seinen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik berichtet und die Story mit erlogenen Fakten verdichtet hatte.

Es gibt hunderte solcher Geschichten über die Konsequenzen der „Bild“-Berichterstattung, der Journalist Gerhard Henschel hat sie 2006 in seinem „Gossenreport“ gesammelt. Die Köpfe der „Bild“ – abgesehen von der neuen stellvertretenden Chefredakteurin Petra Winter nach wie vor Männer – wollen zum 60. Bestehen nicht von solchen schaurigen Vorfällen erzählen. Ihren Kritikern lächeln sie tapfer ins Gesicht und können doch nicht verhindern, dass die Historie der „Bild“ sich besonders gut anhand ihrer Feinde erzählen lässt. Das waren von Anfang an vor allem andere deutsche Verleger, die Herren von „Spiegel“ bis „Zeit“, die den plötzlich so erfolgreichen Axel Springer mit Argwohn beäugten. Er schuf 1952 ein Blatt, das seinem Namen gerecht wurde. Die gedruckte Bildersammlung sollte Konkurrenz zum neumodischen Fernsehen sein. Springers Zielgruppe: „die Masse, nicht der Intellektuelle“. Die Bilder blieben, die Schlagzeilen wurden größer, die Texte ein bisschen. Mit dem Erfolg kamen Mut und Ausdauer für Kampagnen wie Springers jahrzehntelanger Kampf für eine deutsche Wiedervereinigung, die er nicht mehr erleben durfte.


„Tschüss Griechen“. Die Konkurrenz beobachtete das Boulevardblatt mit einer Mischung aus Neid und Abneigung. Die fragwürdigen Recherchemethoden hatten sich schnell herumgesprochen: Fakten wurden geradegebogen, verdreht oder gleich erfunden – und mit knalligen Schlagzeilen versehen. Die Kunst der prägnanten, zum Teil witzigen, manchmal eher skurrilen Schlagzeilen beherrscht das Blatt bis heute. Als der deutsche Kardinal Josef Ratzinger zum Oberhaupt der katholischen Kirche ernannt wurde, titelte das Blatt: „Wir sind Papst“; den EM-Ausstieg der Griechen kommentierte es am Samstag mit: „Tschüss Griechen“.

In den 1960er-Jahren hatte sich die „Bild“ im Nu viele Feinde gemacht: Dichter und Intellektuelle aus der Gruppe 47 rund um Heinrich Böll und Günter Grass, die protestierenden Studenten und linke politische Gruppierungen boykottierten das Blatt.

Von Feinden erzählt die „Bild“ an diesem Jubiläumswochenende nur in Fußnoten. Zuletzt hat die Nachrichtenfabrik fleißig daran gearbeitet, sich mit Aktionen der Superlative ein neues Image zu verpassen. Etwa damit, dass sie als einziger Medienpartner die „Art und Press“-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau begleitete. Damit will sie sagen: Wir können auch anders als mit Titten, Tieren und Toten Schlagzeilen machen. Die Ausstellung war auf seltsame Art und Weise sehr „Bild“-like: Nach dem Motto „Klotzen statt Kleckern“ waren unzählige Stars der internationalen Kunstszene versammelt: von Andy Warhol, Ai Weiwei und Julian Schnabel über Jonathan Meese, Gerhard Richter, Anselm Kiefer und dem Österreicher Erwin Wurm. Ob die 56 Künstler vom Medienpartner „Bild“ wussten?

In der Mitte? Für das Blatt war die Ausstellung deshalb so wichtig, weil es damit zu beweisen glaubte, wovon es selbst längst überzeugt ist: Dass es in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, zwar von der Masse gelesen, aber auch von der Elite anerkannt wird. Chefredakteur Kai Diekmann betont es in Interviews immer wieder: Vom Radaublatt habe es sich zu einer „Qualitätszeitung mit emotionalem Zugang“ entwickelt, wie er vor einiger Zeit der „Presse am Sonntag“ sagte. Die „Bild“ würde aber wie keine andere Zeitung „die Temperatur im Lande“ messen. „Wenn Zeitungen wie die FAZ schreiben, was passiert, dann schreiben wir, wie sich das, was passiert, anfühlt“, so Diekmann. Im Schlagzeilenschnitzen könne sein Lieblingsfeind, die „taz“, locker mit ihnen mithalten. Als im Mai das Desaster um den Berliner Flughafen bekannt wurde, war Diekmann der „taz“ die Schlagzeile „Berlin kriegt keinen hoch“ neidig. „Hätten wir das gemacht, wären wir wieder geprügelt worden“.

Emotionen entfachen, das ist immer noch die Kernkompetenz der „Bild“, um die sie vielfach beneidet wird. In der Themenkonferenz bekommen die einfachen Geschichten, die anrühren, aufregen oder amüsieren, den lautesten Applaus. Etwa die von der jungen Mutter, die sich aus Solidarität zu ihrem krebskranken und durch die Chemo kahlköpfig gewordenen Sohn eine Glatze rasierte – sie landet in der „Bild“ auf Seite 3 als „emotionalste Geschichte des Tages“.


Umstrittene Ehrung. In der Mitte angekommen sieht sich die „Bild“ auch durch den Henri-Nannen-Preis, der ihr im Mai verliehen wurde, für die Berichte, die den Bundespräsidenten Christian Wulff zum Sturz gebracht haben. Freundschaftlich verbundene Medien wie das „Handelsblatt“ gratulierten und erklärten die Entscheidung der Jury für richtig. Viel größer aber war die Empörung, dass man dem Schmuddelkind in der medialen Sandkiste diese Ehre zu Teil werden ließ. Einer der Erzfeinde der „Bild“, die „Süddeutsche“, nahm ihren Nannen-Preis deshalb gar nicht erst nicht an. Die deutsche Otto-Brenner-Stiftung hatte pünktlich zur Preisverleihung eine Studie veröffentlicht, in der sie das Verhältnis zwischen Wulff und „Bild“ als eine Art Geschäftsbeziehung analysierte, die nach völlig anderen Regeln funktioniere als das klassische Verhältnis zwischen Politiker und Medien. Wer „Bild“ im Fall Wulff für guten Journalismus lobt, müsse auch „Stalker für ihre Treue und Schwarzfahrer für ihr umweltfreundliches Verkehrsverhalten auszeichnen“, hieß es.


Selbstkritik. Doch sogar bei den konsequentesten Feinden ging Kritik manchmal mit Selbstkritik einher: So hatte „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein Mitte der Siebzigerjahre, als sein Magazin Heinrich Bölls Abrechnung mit den menschenverachtenden Methoden der „Bild“ in der „Verlorenen Ehre der Katharina Blum“ in Serie abdruckte, zur Diskussion gestellt, ob nicht auch in elitären Qualitätsblättern „ein mordlüsternes Stück Bild“ stecke. Vorbild war die „Bild“ jedenfalls für viele Medien, nicht zuletzt für die österreichischen Boulevardblätter, Michael Jeannées Briefe in der „Krone“ sind der Post von Franz Josef Wagner nachgeahmt.

Nach Böll wurde Günter Wallraff zum größten Feind. Er schlich sich als Hans Esser vier Monate in die Hannoveraner Redaktion der „Bild“ ein und schrieb ein Buch über die manipulativen Recherchemethoden. Die „Bild“ reagierte auf ihre Art: Sie kampagnisierte gegen ihn („Wallraff-Wahnsinn in Hannover“) und ließ ihn abhören. Heute, glaubt Kai Diekmann, hätte ein Günter Wallraff bei „Bild“ nichts mehr aufzudecken; und Springer-Vorstand Matthias Döpfner gab in einer Doku zu, dass in der „Bild“ zu Wallraffs Zeiten „Dinge in unserem Haus gelaufen sind, die sich mit unseren Werten nicht vertragen“. „Bild“ nimmt also leise Einsicht und wird insgesamt milder. Wenn sie will, kann sie aber immer noch Menschen wie Ex-Minister Guttenberg zu Stars hinaufschreiben und gleich wieder zum Abschuss freigeben, wie Christian Wulff.

Aber auch „Bild“ spürt die Veränderung der Medienbranche. Das Blatt erreicht zwar immer noch zwölf Millionen Menschen bei einer Auflage von 2,7 Millionen Stück, ist aber weit entfernt von früheren Traumauflagen in Höhe von fast fünf Millionen Stück. Feinde hat es wie in seiner Hochblüte, vor allem unter Intellektuellen und Künstlern, von Charlotte Roche bis Sängerin Judith Holofernes. Andere nutzen die Reichweite geschickt für Eigenwerbung, wie Alice Schwarzer, die in „Bild“ über den Prozess gegen Jörg Kachelmann berichtete. Oder lassen sich zum Geburtstag von der Zeitung einspannen: Ex-Kanzler Gerhard Schröder behauptet im großen Interview in der „Frei-Bild“, die gestern gratis verteilt wurde, der Einfluss der „Bild“ sei überschätzt, sie habe keine Macht. Glauben kann man ihm das nur schwer, hat man doch noch seinen Spruch im Ohr, zum Regieren brauche er nur „Bild, BamS und Glotze“. Und Ex-„Spiegel“-Chef Stefan Aust erzählt im rekordverdächtig dicken und großen „Bildbuch“ von Diekmann, das zum Sechziger im Taschen Verlag erschienen ist und je eine Titelseite pro Monat seit 1952 enthält, die Geschichte der „Bild“ mit nur sehr leisem kritischem Unterton.

Medienjournalist Stefan Niggemeier sagt zwar dem „Standard“, es sei „das Beste, die Zeitung nicht zu lesen“, konnte aber auch nicht wegsehen: Als Gründer des Watchblogs „Bildblog.de“ hat er sie jahrelang sehr genau gelesen, um Verfehlungen aufzudecken. Die „Bild“ hat Routine im Umgang mit ihren Feinden und als Reaktion auf den Blog sogar eine Korrekturspalte auf Seite 2 eingeführt. Kai Diekmanns Credo: Wer austeilt und anderen auf die Füße steigt, muss auch einstecken können. Mitunter sanfte Prügel zum Geburtstag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2012)

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