Welt von morgen - über Europa und Muslime

Im Vergleich mit anderen Migranten weisen Muslime größere Probleme bei der Integration in die bestehenden Gesellschaften auf.

T
rotz der politischen Aufregungen, die schon im Vorfeld der Veröffentlichung der vom österreichischen Innenministerium in Auftrag gegebenen Studie zu Integrationsproblemen von Muslimen entstanden sind, sollten zwei Tatsachen zur Kenntnis genommen werden. Erstens nimmt die Integrationswilligkeit bei jungen Türken in der zweiten und dritten Generation in vielen europäischen Ländern ab, und zweitens belegen neueste Erhebungen die steigende Abneigung der einheimischen Bevölkerungen gegenüber türkischen Einwanderern und dem Islam insgesamt. Diese Fakten können nicht ignoriert oder uminterpretiert werden, auch wenn im Einzelnen über die erhobenen Daten diskutiert werden kann.

Letztlich ist es nicht ausschlaggebend, ob 45 Prozent der Muslime eine mangelnde Willigkeit und Fähigkeit zur Integration aufweisen oder ob deren Anzahl geringer ausfällt. Im Vergleich mit anderen Migranten weisen Muslime größere Probleme bei der Integration in die bestehenden Gesellschaften auf, und deshalb können die Gründe dafür nicht ausschließlich in der beschränkten Integrationsbereitschaft der Bevölkerung und den nicht hinreichenden institutionellen Voraussetzungen für die Integration in den jeweiligen Gesellschaften gesucht werden. Der Rückzug in Parallelgesellschaften kann nicht einseitig mit Diskriminierung oder fehlender Chancengleichheit erklärt werden.

Alle Einwanderungsgesellschaften müssen von Immigranten den Willen zur Integration und die Loyalität gegenüber dem Gemeinwesen verlangen. Damit ist keine erzwungene Assimilierung in die bestehende Kultur gemeint, sondern das Bekenntnis zu den Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft. Die Achtung des Verfassungsstaates und der individuellen Rechte sowie die Akzeptanz der Trennung von Staat und Religion dürfen nicht zur Disposition stehen. Nur unter der Bedingung, dass sich ethnische und religiöse Minderheiten als Teil einer gemeinsamen Zivilgesellschaft verstehen, können verschieden Kulturen zusammenleben. In diesem Sinne dürfen sich Vereine und Verbände von Einwanderern und deren Nachkommen nicht als Institutionen von Gegengesellschaften definieren, sondern als Einrichtungen neuer Identitätsfindungen, die aus dem interkulturellen Austausch entstehen können. Von dieser Interkulturalität - die nicht mit der Ideologie eines Multikulturalismus verwechselt werden darf - sind wir jedoch meilenweit entfernt.

Wenn von den Einwanderern und deren Kindern aktive Integrationsbemühungen - hohe Sprachkenntnisse, qualifizierte Ausbildungen und das Bekenntnis zum Rechtsstaat - eingefordert werden, dann müssen die Gesellschaften ihre Integrationsangebote verbessern - Ganztagsschulen, entsprechende Sprach- und Ausbildungsmöglichkeiten etc. Eine gescheiterte Integration von Muslimen würde die Schaffung eines ethnisch bzw. religiösen Subproletariats bedeuten, das - eingedenk der demografischen Entwicklung - in der letzten Konsequenz den Rechtsstaat und den sozialen Frieden gefährdet.

Die zunehmenden Integrationsprobleme schlagen sich natürlich in den Einstellungen der Mehrheitsbevölkerungen negativ nieder, die wiederum die Chancen einer Lösung dieser Problematik verringern. Eine neue Studie des Instituts für Demoskopie in Allensbach in Deutschland zeigt die teilweise dramatische Entwicklung der Wahrnehmung von Türken und des Islam. 83 Prozent der Deutschen sind überzeugt, dass der Islam von Fanatismus geprägt sei; vor zwei Jahren stimmten noch 75 Prozent dieser These zu. Nur acht Prozent der Deutschen bescheinigen dem Islam, eine friedfertige Religion zu sein. 62 Prozent glauben, dass der Islam rückwärts gewandt sei, und 66 Prozent unterstellen ihm, undemokratisch zu sein. Die Fragen, ob es zu schweren Konflikten zwischen Christen und Islam bzw. zwischen dem Westen und der arabisch-muslimischen Kultur kommt, bejahen 61 bzw. 65 Prozent der Befragten.

Die Einstellung zum Christentum dagegen hat sich deutlich zum Positiven gewendet, eine Entwicklung, die als Reaktion auf die Auseinandersetzung mit dem Islam gedeutet werden kann. So sind 80 Prozent der Meinung, das Christentum sei durch die Nächstenliebe geprägt und 71 Prozent bringen das Christentum mit den Menschenrechten in Verbindung. 65 Prozent sind von der Friedfertigkeit des Christentums überzeugt und immerhin noch 42 Prozent von seiner Toleranz. Diese Zustimmungswerte für das Christentum sind heute deutlich höher als bei früheren Untersuchungen aus dem Jahr 2004, obwohl die Kirchen weiter Mitglieder verlieren.

Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass das Christentum zunehmend als kulturelle Identität im Konflikt mit dem Islam "entdeckt" wird. Deshalb ist es nicht überraschend, dass 58 Prozent der Meinung sind, dass wir uns mitten im Kampf der Kulturen befinden - vor zwei Jahren waren es 46 Prozent. Der Graben zwischen den Kulturen wird bedenklich größer, und es zeichnet sich eine spiralenförmige Entwicklung ab: Die Wahrnehmung des "anderen" wird stereotypischer, und er wird als Bedrohung empfunden. Osama bin Ladens Strategie zeigt ihre Früchte, der Kampf der Kulturen findet statt.

meinung@diepresse.com Michael Ley, geb. 1955 in Konstanz, lebt in Wien. Dozent für Politikwissenschaft an der Uni Innsbruck. Zuletzt erschienen: "Mythos und Moderne. Über das Verhältnis von Nationalismus und politischen Religionen".

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