Italien: Polizeischutz für Holocaust-Opfer

Die 89-jährige Holocaust-Überlebende Liliana Segre wird täglich massiv bedroht.
Die 89-jährige Holocaust-Überlebende Liliana Segre wird täglich massiv bedroht. (c) imago images/ZUMA Press (Francesco Militello Mirto, via www.imago-images.de)
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Die 89-jährige Holocaust-Überlebende Liliana Segre wird täglich massiv bedroht. Nun braucht sie eine Carabinieri-Eskorte. Das offizielle Italien reagiert beschämt.

Mailand/Wien. 200 Hassbotschaften pro Tag erhält die 89-jährige Liliana Segre. Sie wird darin beschimpft, beleidigt – und bedroht. Die Mailänderin lässt sich davon nicht abschrecken. Trotz ihres hohen Alters erzählt sie weiter von all dem Grauen, das sie als Kind miterleben musste: Mit nur 13 Jahren wurde die Tochter einer jüdischen Familie nach Auschwitz deportiert, nachdem 1943 Norditalien von NS-Truppen besetzt worden war.

Segres Familie wurde ermordet – Liliana gefoltert, versklavt. Doch sie überlebte. Sie machte es sich zur schmerzvollen Lebensaufgabe, all das Erlebte zu erzählen, vor allem jungen Italienern. Damit sich der Holocaust nie wiederhole. Damit niemand mehr wegen seiner Abstammung, Religion oder Kultur verfolgt werde.

Im heutigen Italien kann sie sich deshalb nicht mehr frei bewegen: Wegen der vielen Drohungen erhält die Frau nun Polizeischutz. Seit Donnerstag wird Segre ständig von zwei Carabinieri begleitet.

Die 89-Jährige sagt nichts dazu. Aber es ist klar, dass sie weitermachen wird. Immerhin ist sie auch Politikerin: 2018 wurde sie wegen ihres Engagements zur „Senatorin auf Lebenszeit“ ernannt. Diesen Titel erhalten in Italien nur wenige, herausragende Persönlichkeiten.

„Verzeihe uns, Liliana“

Als Senatorin hat sich Segre für die Einrichtung einer Sonderkommission eingesetzt, die Rassismus und Antisemitismus unter anderem in sozialen Netzwerken bekämpfen wollte. Auch dafür war sie angefeindet worden – unter anderem von der rechtspopulistischen Lega, die von einer „kommunistischen Kommission“ sprach. Erst vor wenigen Wochen war Segre in ein Mailänder Theater eingeladen worden, um mit Studierenden zu diskutieren. In der Nacht vor der Veranstaltung hatte die rechtsradikale Gruppierung Forza Nuova ein Plakat vor das Theater gehängt. Mit der Inschrift: „Sala (Mailands Bürgermeister, Anm.) befiehlt. Die Antifa führt aus. Das Volk leidet.“ Dies alarmierte die Behörden ebenso wie Segres Familie. „Wir sind jetzt etwas ruhiger“, sagte Segres Sohn Luciano, als seine Mutter den Polizeischutz erhielt.

Das offizielle Italien zeigt sich beschämt. „Verzeihe uns, Liliana. Aber die Politik des Hasses wird weder dein noch unser Engagement stoppen“, twitterte Landwirtschaftsministerin Teresa Bellanova. Deutliche Worte sprach Israels Botschafter in Rom, Dror Eydar. „Eine 89-jährige Holocaust-Überlebende unter Polizeischutz zeigt, wie groß die Bedrohung für Juden in Europa ist.“ Tatsächlich haben antisemitische Vorfälle in Italien deutlich zugenommen. Das Mailänder Antisemitismus-Observatorium registrierte allein bis November 190 Fälle, im ganzen Jahr 2018 waren es 197. Auf die Frage, ob sich in Italien der Hass gegen Juden ausbreite, antworteten in einer neuen Umfrage 67 Prozent mit „Ja“.

Verbittert reagierte der populäre Anchorman Gad Lerner, selbst ein Jude: „Und jetzt wird es sicher heißen, der Polizeischutz sei ein Privileg. Und eine Verschwendung öffentlicher Gelder.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2019)

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