Corona

Deutschland steht vor zweiter Welle

In der Hauptstadt Berlin verbreitet sich das Coronavirus gefährlich schnell – doch nicht nur dort.
In der Hauptstadt Berlin verbreitet sich das Coronavirus gefährlich schnell – doch nicht nur dort.(c) APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Die Infektionszahlen sind kurz vor den Herbstferien sprunghaft angestiegen. Städte gelten als Hotspots. Mehrere Bundesländer setzen innerdeutsche Risikogebiete auf ihre rote Liste.

Berlin/Wien. „Die Infektionslage“, warnte noch am Mittwoch Kanzleramtsminister Helge Braun, „darf uns nicht davonrennen“. Nur einen Tag später ließ die Lage in Deutschland alle Alarmglocken schrillen. Die Zahl der Neuinfektionen ist innerhalb von 24 Stunden sprunghaft auf 4058 angestiegen – das sind um 1200 mehr als in den 24 Stunden davor, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) mitteilte. Zuletzt waren die Zahlen im April ähnlich hoch.

Für Braun steht Deutschland vor einer zweiten Infektionswelle; die Kontaktnachverfolgung in den Gesundheitsämtern funktioniere stellenweise wohl nicht mehr. RKI-Chef Lothar Wieler wurde indessen noch konkreter mit einer düsteren Prognose: bis zu 10.000 Neuinfektionen pro Tag seien möglich, wenn sich die Lage nicht schnell beruhige. Er warnte vor einer „unkontrollierten Verbreitung“.

Bundeskanzlerin Angela Merkel rief zu Mittag die Regierungschefs der Länder und Städte zu einer Krisensitzung zusammen, während Bundesgesundheitsminister Jens Spahn neun Millionen Corona-Schnelltests pro Monat zusicherte.

Den sprunghaften Anstieg der Zahlen führt Spahn auf Zusammenkünfte in geschlossenen Räumen zurück: Nicht Supermärkte, Friseure oder der öffentliche Transport sind demnach die Hotspots, sondern Feiern, (religiöse) Veranstaltungen, aber auch Alten- und Pflegeheime. Spahn ist insbesondere Berlin ein Dorn im Auge, wo jüngere Menschen ein „sorgloses, ignorantes Verhalten“ an den Tag legen würden. Nun hat Berlin zwar den kritischen Inzidenzwert – 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche – überschritten, so aber auch Hamburg, Aachen, Wuppertal und eine Reihe weiterer Städte und Landkreise. Vechta in Niedersachsen verzeichnete sogar einen Inzidenzwert von weit über 60. Städte wie Berlin haben noch ein anderes Problem: Die Labore sind an Grenzen angelangt.

Genügend Betten

Gestiegen ist zuletzt auch die Zahl der intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Patienten – derzeit sind es rund 470. Spahn versicherte zwar, dass Deutschland über genug Intensivbetten (8500) und Notfallreserven verfüge, doch gehen Mediziner davon aus, nicht dringende Operationen verschieben zu müssen. Bislang ist Deutschland im europäischen Vergleich gut durch die Coronakrise gekommen. Das hängt unter anderem mit Testungen von Urlaubsrückkehrern zusammen, mit strengeren Abstandsregeln, aber nicht zuletzt auch damit, dass Deutschland über kleinere Haushalte bzw. mehr Einpersonenhaushalte verfüge als Südeuropa, wie der Virologe Christian Drosten jüngst bemerkte.

Angesichts der bevorstehenden Herbstferien stellt sich für Deutschland auch die Reisefrage. Mehrere Bundesländer haben für Touristen aus Risiko-Bundesländern ein Beherbergungsverbot ausgesprochen; Ausnahmen gibt es mit negativen Coronatests. Doch die Regeln sind nicht einheitlich, was für Verunsicherung bei den Buchungen sorgt. Auswirkungen wird die Lage wohl auch auf Österreich haben. Am heutigen Freitag trifft Bundeskanzler Sebastian Kurz seinen bayerischen Amtskollegen, Markus Söder: Der grenzüberschreitende Wintertourismus wird auch ein Thema sein.

Gesundheitsminister Spahn rief jedenfalls die Bevölkerung auf, sich an die AHA-Regeln zu halten – Abstand, Hygiene, Alltagsmasken –, regelmäßig zu lüften und die Corona-Warn-App herunterzuladen. Damit die App wirkt, müsste sie die Hälfte der Bevölkerung nützen. Doch davon ist das Land noch weit entfernt. Eine Corona-Ampel wie in Österreich stand in Deutschland zuletzt auch zur Debatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2020)

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Die Zahl der Neuinfektionen ist in Deutschland binnen 24 Stunden auf 4058 gestiegen, um über 1200 mehr als am Mittwoch. Es sei "möglich, dass wir mehr als zehntausend neue Fälle pro Tag sehen", sagt Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts.

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