Vor 100 Jahren: Luftfahrtpionier landet auf Kaufhaus-Dach in Paris

Das Flugzeug auf dem Kaufhausdach
Das Flugzeug auf dem Kaufhausdachflightglobal.com
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Der Franzose Jules Védrines legte am 19. Jänner 1919 einen bemerkenswerten Stunt hin, als er eine einmotorige Maschine auf den Galeries Lafayette landete. Er bekam ein hohes Preisgeld, aber auch eine Strafe.

Mit einer gewagten Landung auf dem Dach des Pariser Edelkaufhauses Galeries Lafayette hat der französische Pilot Jules Védrines vor 100 Jahren Luftfahrtgeschichte geschrieben. Er erhielt damals zwar die vom Kaufhaus ausgesetzte Prämie von 25.000 Francs, musste aber eine Strafe zahlen, weil er unerlaubt die Hauptstadt überflogen hatte.

Nach Informationen des Radiosenders Europe 1 war das Dach damals nur etwa 28 Meter lang. Bei der Landung am 19. Jänner 1919 wurde die Maschine, ein einmotoriger Anderthalbdecker Caudron G.3, beschädigt. Das Kaufhaus hatte die Prämie bereits zehn Jahre vorher ausgesetzt, so der Sender. Nach der Aktion wurde auf dem Dach eine Erinnerungsplakette angebracht.

Die Landung
Die LandungGemeinfrei

Ruhm und Geld brachten Védrines aber kein Glück: Der waghalsige Pilot starb wenige Monate später in Südfrankreich bei einem Flug nach Rom.

Fotografiert von der Straße aus
Fotografiert von der Straße ausflightglobal.com

Anlässlich des Jubiläums am Samstag sei allerdings keine besondere Veranstaltung geplant, teilte das Kaufhaus am Boulevard Haussmann auf Anfrage von Medien mit. Es blickt auf eine lange Tradition zurück: 1893 gründeten die aus dem Elsass stammenden Cousins Théophile Bader und Alphonse Kahn ein kleines Geschäft im Opernviertel. Das Unternehmen expandierte rasch und ist ein Juwel von Paris.

Jules Charles Toussaint Védrines (1881 bis 1919) war als Luftfahrtpionier unter anderem auch berühmt geworden, weil er als erster Pilot mit mehr als 100 Meilen pro Stunde (160 km/h) flog, das war 1912 in einem Rennflugzeug-Eindecker Deperdussin 1912 Racing mit 190 PS. (Bild hier) Als Höchstgeschwindigkeit der Maschine wurden 169 km/h gemesssen.

Später auf dem Dach
Später auf dem DachGemeinfrei

Védrines stammte aus Saint-Denis, damals eine Industriestadt im Norden von Paris, wuchs der Überlieferung zufolge als "richtiger Straßenbub" auf und eignete sich raue Umgangsformen an. Bei der Motorenfabrik "Gnome et Rhône" in Paris machte er eine Mechanikerlehre und arbeitete hernach als Mechaniker für Piloten.

Jules Védrines anno 1911
Jules Védrines anno 1911Gemeinfrei/United States Library of Congress

1910 machte er die Pilotenprüfung (Nummer 312) und gewann gleich im Mai 1911 das Wettfliegen Paris - Madrid in einem Morane-Borel-Eindecker: Er brauchte für die Strecke insgesamt 37,5 Stunden, davon war er zwölf Stunden und 18 Minuten in der Luft.

Folgenschweres Flugzeugrennen Paris - Madrid

Das Rennen war gleich zu Beginn von einem aufsehenerregenden Unfall überschattet: Der Pilot Louis Émile Train (1877 - 1939) bemerkte beim Start, dass sein Motor defekt war, drehte eine Runde und wollte wieder landen. Allerdings waren zu dem Zeitpunkt schon zahlreiche begeisterte Zuseher über die Absperrungen auf das Flugfeld gerannt.

Train konnte mit Mühe vermeiden, in eine Abteilung berittener Soldaten zu krachen, die auf Befehl des Polizeichefs die Leute vom Flugfeld zurückdrängen sollten, und streifte dahinter eine Gruppe Menschen, die vor ihm auseinanderstob.

Diese Gruppe allerdings war hochrangig: Premierminister Ernest Monis (im Amt März bis Juni 1911) lag bewusstlos auf dem Rasen, ein Bein war gebrochen. Sein Sohn sowie der Luftfahrtindustrielle Henri Deutsch de la Meurthe waren ebenfalls verletzt. Kriegsminister Henri Maurice Berteaux hatte einen Arm verloren und starb an einer schweren Kopfverletzung. In der folgenden Panik wurden einige weitere Menschen verletzt.

Das Wrack des Unglücksflugzeugs
Das Wrack des UnglücksflugzeugsGemeinfrei

Weitere Starts wurden daraufhin untersagt, allerdings trug Premier Monis den Veranstaltern auf, es möge weitergehen, worauf am folgenden Tag noch zwei weitere Telnehmer starteten. Einer davon war Védrines.

Er nahm später noch an weiteren Flugrennen und -Expeditionen teil, etwa rund um Großbritannien und von Paris nach Ägypten. Zudem war er politisch aktiv und kandidierte für die Sozialisten für die Abgeordnetenkammer als Vertreter des Wahlkreises Limoux in Südwestfrankreich, allerdings ohne Erfolg.

Illegaler Flug über Deutschland

Der Flug nach Kairo 1913 war streckenweise politisch brisant: Védrines wollte vom Zwischenstopp in Nancy nahe der Grenze zu Deutschland durch deutschen Luftraum fliegen - namentlich zuerst über die Region Elsass-Lothringen, die damals seit dem Krieg von 1870/71 wieder zu Deutschland gehörte. Sowohl Deutsche als auch Franzosen wollten das verhindern, aber Védrines verfocht die Freiheit des Luftraums in Friedenszeiten, ein Postulat, das noch umstritten und rechtlich ungeklärt war. Letzlich flog er nach längerem Stopp in Nancy im November 1913 doch über Deutschland und nach Prag, damals in Österreich-Ungarn.

Dafür wurde er in Abwesenheit von einem deutschen Gericht zu einem Jahr Haft verurteilt. 1914 wurde angesichts des Vorfalls eine internationale Konferenz zum Thema Luftverkehrsfreiheit angesetzt, doch der Kriegsausbruch im Sommer beendete das Thema vorerst.

Der weitere Kurs führte übrigens über Österreich-Ungarn nach Bulgarien, Konstantinopel (dort warf er unter dem Jubel der Menschen am Boden eine türkische Flagge auf den Sultanspalast), Beirut und Jaffa nach Kairo, wo er am 29. Dezember ankam. Dort geriet er in Streit mit einem anderen französischen Piloten, was beinahe in einem Duell mit Revolvern in Frankreich geendet hätte und die Zeitungen wochenlang beschäftigte.

Védrines und eines seiner Flugzeuge im Krieg, hier ein Jäger Typ Morane-Saulnier N
Védrines und eines seiner Flugzeuge im Krieg, hier ein Jäger Typ Morane-Saulnier NGemeinfrei/The Library of Congress

Im Ersten Weltkrieg flog Védrines in den blutjungen Luftstreitkräften, vor allem als Aufklärer und als Ausbildner. Überdies flog er besonders gefährliche Sondereinsätze: Er brachte Spione hinter die deutschen Linien und flog sie später wieder aus. Darauf hätte ihm, wäre er erwischt worden, wegen zumindest Beihilfe zur Spionage durchaus die Todesstrafe drohen können, verhängt durch ein deutsches Militärgericht vor Ort.

Mit Bomber abgestürzt

Védrines starb schon am 21. April 1919, als er eine Caudron C.23, das war ein zweimotoriger Langstreckenbomber, von Villacoublay nahe Paris nach Rom fliegen wollte. Er hatte Anfang 1918 den ersten Bomber dieses Typs als Testpilot geflogen, diese Maschinen konnten 600 Kilogramm Bomben bei etwa 140 km/h tragen und hätten, voll ausgereift, Berlin erreichen sollen, was aber letztlich nicht gelang. Nach dem Krieg wurden einige der 54 gebauten C.23 zu Passagierflugzeugen umgebaut. Der Hersteller Caudron verschmolz 1933 mit Renault.

Während des Flugs nach Rom also fiel ein Motor aus. Védrines versuchte nahe Lyon eine Notlandung, wobei er und sein Mechaniker Marcel Guillain ums Leben kamen. In einem großen Leichenzug wurden beide nach Paris überstellt, Védrines ruht dort auf dem Friedhof Pantin im Nordosten der Stadt.

Das letzte Foto der Caudron C.23 vor Védrines' Flug in den Tod im April 1919
Das letzte Foto der Caudron C.23 vor Védrines' Flug in den Tod im April 1919Gemeinfrei/New York Times

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