Reformpädagogik: Der Lehrer in der letzten Reihe

(c) Sykora
  • Drucken

Veronika Schmidt besuchte eine Freinet-Klasse in der „Schule im Park“ in Wien Alsergrund.

„Hast Du schon von Web 2.0 gehört?“, fragt ein Neunjähriger die Journalistin beim Besuch der Freinet-Klasse in der „Schule im Park“ (Wien 9). Auf den eigenen Weblog (school4u.at/blog) ist die 4B sehr stolz – und so drehen die Schüler den Spieß um und stellen Fragen über die Arbeit eines Journalisten.

An der Tafel steht im Wochenplan für diese Stunde „Schreibkonferenz“. Die Gruppe der Viertklässler ist längst fertig mit dem gegenseitigen Vorlesen und Korrigieren der Aufsätze und widmet sich nun beim freien Beschäftigen weiterhin dem Schreiben, um den Blog zu füllen.

Der Lehrer der – wie sie es nennen – „Friedensklasse“, Peter Sykora, steht für Auskünfte und Hilfestellungen stets bereit. 24 Schüler betreut Sykora dieses Jahr. Angefangen hat er vor fast 15 Jahren mit der Freinet-Pädagogik, deren Ursprünge bis ins Jahr 1920 zurück gehen. Der französische Dorflehrer Célestin Freinet entwickelte damals eine Unterrichtsform, in der das Kind und seine eigenständige Entwicklung im Mittelpunkt steht. Der Unterricht soll weniger vom Lehrer als viel mehr von den Schülern bestimmt werden. „Unsere Klasse funktioniert auf basisdemokratischer Ebene“, erklärt Sykora. Jeden Montag setzen sich Schüler und Lehrer zum Klassenrat, um gemeinsam den Wochenplan zu erarbeiten.

Nicht nur im Klassenzimmer

Pro Woche muss je ein Mathematik-, Deutsch-, Sachunterricht- und Kreativthema erledigt werden. Wie und wann daran gearbeitet wird, teilen die Schüler selbst ein. Eine Methode der Freinet-Pädagogik ist die Einrichtung von Themen-Ateliers. In der Volksschule am Alsergrund zeigen die Kinder stolz die Forscher-, Freie Arbeits-, Computer-, Kreativ- und Friedensecke her. Auch von Exkursionen berichten sie begeistert, da nach Freinet das Lernen nicht abgeschlossen im Klassenzimmer stattfinden soll.

Am Lehrertisch, der nicht frontal sondern weit hinten steht, liegt das Ärger-Freude-Buch. Dort darf jeder Schüler eintragen, was ihn an seinen Kollegen geärgert oder worüber man sich gefreut hat. Im Klassenrat werden die Einträge besprochen. „Die Verhaltensregeln stellen die Schüler im Klassenrat selbst auf.“ In der Volksschule mit dem Klassenlehrerprinzip können Lehrer, die wie Sykora die Berufung zur Freinet-Pädagogik spüren, dies gut umsetzen, ohne es als Schulversuch anmelden zu müssen.

Ab der dritten Klasse bekommen die Schüler hier auch Noten ins Zeugnis, die sich vorerst aus den direkten Leistungsvorlagen und Gesprächen mit den Eltern ableiten. Spätestens im Semesterzeugnis der vierten Klasse sind Noten unumgänglich, um die Kinder in neue Schulen einzuschreiben. Natürlich müssen die Eltern hinter der Idee der Freinet-Pädagogik stehen. Da in der „Schule im Park“ Reformpädagogik einen hohen Stellenwert hat, war es hier nie ein Problem. „In unseren Klassen ist offener Unterricht wichtig. Wir suchen uns von allem das Beste heraus“, meint die Direktorin Margeritha Hauser. Im offenen Lehrerzimmer herrscht reges Ein- und Ausgehen der Schüler. Diese suchen das Gespräch mit den Lehrern. „Du, Frau Direktor“, hört man immer wieder. Auf die Frage, warum in ihrer Schule nicht mehr Lehrer nach Freinet unterrichten, sagt Hauser: „Vielleicht ist es störend für manche, wenn die Kinder so selbstbestimmend sind.“

Wenige Straßen weiter, in der Galileigasse, ist Elisabeth Suttner Direktorin einer Volksschule, selbst Vorsitzende der Freinet Gruppe Wien. Warum gibt es in ihrer Schule keine Freinet-Klasse? „Freinet kann man den Kollegen nicht verordnen“, meint sie: „Das ist ein Weg der persönlichen Entwicklung, auf den jeder selbst kommen muss.“

Daher ist die Ausbildung auch nicht einfach zu organisieren. Suttner ist Lehrbeauftragte für Freinet-Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule in Wien. Letztes Jahr wurden zirka 30 Lehrer von der Freinet Gruppe zertifiziert.

„Ideologie nicht lehrbar“

Aber wie Peter Sykora es ausdrückt: „Kann man eine Ideologie ausbilden?“. Dieser Frage schließt sich auch Thomas Körner an, Direktor der Volksschule Berndorf bei Salzburg: „Die Ausbildung ist schwierig, weil es um persönliche Entwicklung und Wertschätzung dem Kind gegenüber geht. Freien Ausdruck und demokratische Strukturen zu fördern, erfordert von Lehrern und Schülern eine kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt. Uns Pädagogen ist reger Austausch sehr wichtig, um gemeinsam mit den Kindern für die Sache zu arbeiten.“

FREINET

Das Prinzip: Der lehrergelenkte Unterricht wird durch selbstbestimmten Schülerunterricht ersetzt. Die Klasse bestimmen weitgehend selbst, was und wie sie lernen wollen und legen darüber Rechenschaft ab.

Der Frontalunterricht wird durch selbstständiges Arbeiten und Exkursionen ersetzt.

Das Produzieren eigener Texte, etwa einer Klassenzeitung, spielt eine wichtige Rolle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2007)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.