Duale Ausbildung: LEHRE für reife Menschen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die von der Wirtschaft hoch geschätzte Lehre gilt für Jugendliche und Eltern oft als zweite Wahl. Das kann auch positiv gedacht sein – als Berufsausbildung nach der Matura.

Die duale Fachkräfteausbildung – vulgo Lehre – in Österreich ist ein Erfolgsmodell. Ein Beleg für ihre Qualität ist etwa das regelmäßig gute Abschneiden heimischer Fachkräfte bei internationalen Berufsmeisterschaften. Erst im September errangen die 43 Teilnehmer aus Österreich bei den Euroskills in Budapest in 36 Disziplinen insgesamt 21 Medaillen und acht weitere Auszeichnungen. Was die Berufsaussichten angeht, hat das Handwerk noch immer goldenen Boden, in vielen Bereichen werden Fachkräfte händeringend gesucht.

Dennoch entscheiden sich immer weniger junge Menschen für eine Lehre. Vor allem in den Städten muss es für viele die Matura sein. Die Ursache ortet Alexander Eppler, Lehrlingsexperte der WK Wien, „rein in den Köpfen“. Nachsatz: „Hauptsächlich jenen der Eltern.“

Vorteile für Maturanten

Eine Nische, die aber zunehmend genutzt wird, ist die Möglichkeit, nach der Matura eine Lehre zu absolvieren. Hier gibt es für Maturanten, egal, ob sie gleich oder erst später – etwa nach dem Abbruch eines Studiums – eine Lehre beginnen, eine Reihe von Vorteilen. Der wohl wichtigste ist die Verkürzung der Lehrzeit um ein Jahr, die bei allen Lehren, die regulär länger als zwei Jahre dauern, möglich ist. Zudem gibt es oft mehr Geld durch höhere Lehrlingsentschädigung oder via Förderungen. Und auch in den Berufsschulen sparen sich Maturanten meist einige Stunden. „Oft gibt es eigene Klassen mit abgestimmtem Stundenplan ohne Lücken durch die Freistunden“, berichtet Alfred Freundlinger, Referent für Bildungspolitik der WKO.

Welche Regelungen für Maturanten in welchen Lehrberufen genau gelten, ist nach österreichischem Muster geregelt – in jedem der neun Bundesländer etwas unterschiedlich. Zusätzlich gibt es in einigen Lehrberufen eigene Regelungen auf Kollektivvertragsbasis. Generell können die Konditionen zwischen Lehrherren und Lehrling in spe direkt vereinbart werden.

Laut den Experten sind Maturanten als Lehrlinge sehr geschätzt. Vor allem wegen der reiferen Persönlichkeit. „Sie sind aus der Pubertät heraus“, sagt Eppler. Auch arbeitsrechtlich ist es bei Erwachsenen oft einfacher als bei Jugendlichen, für die besondere Schutzbestimmungen gelten.

Dass in Österreich nur drei Prozent der Maturanten eine Lehre anschließen, während in Deutschland fast ein Viertel der Abiturienten diesen Weg wählen, ist laut Freundlinger auch darauf zurückzuführen, dass es in Deutschland keine berufsbildenden Schulen wie HAK oder HTL gibt. Was die Lehrberufe angeht, so zieht es Maturanten laut den Experten vor allem in Büroberufe. Auch Handwerke mit künstlerischem Einschlag seien – auch wegen des Images – relativ populär.

Das bestätigt der Wiener Klavierbaumeister Heinz Letuha, der gerade zwei Lehrlinge mit Matura ausbildet. „Die Millenials sind persönlich anders abzuholen“, meint der erfahrene Lehrherr. In seinem Bereich lockt neben dem Interesse an Musik die Möglichkeit, renommierte Künstler kennenzulernen – und im Freundeskreis mit einem interessanten Beruf zu punkten. Mit seinen beiden Maturanten-Lehrlingen – einer kam direkt von der Schule, eine ist Quereinsteigerin – ist er sehr zufrieden. Ein Studienabbrecher sei als möglicher dritter „in der Pipeline“. Womit dann alle typischen Wege der Maturanten zur Lehre abgedeckt wären. Suchen brauchte der Klavierbauer im Gegensatz zu anderen Lehrherren nicht. „Wir werden gefunden.“ Entsprechend wenig Konzessionen muss er machen. So werden auch die Maturanten nur nach Kollektivvertrag bezahlt. Insbesondere wird bei dem Klavierbauer die Lehrzeit von dreieinhalb Jahren nicht verkürzt, da der Beruf sehr unterschiedliche Aspekte – von Grob- bis Feinstmechanik – umfasst. Auch in der Berufsschule sparen sich seine Lehrlinge wenig, da selbst Fächer wie Mathematik oder Englisch, in denen Maturanten gute Vorkenntnisse haben, jeweils sehr fachspezifisch interpretiert würden.

Letuha bestätigt die Vorzüge, die Maturanten gegenüber jüngeren Lehrlingen haben. Sie hätten bereits etwas geleistet, seien reifer und sozial kompetenter. Auch die Kommunikationsfähigkeiten, etwa ein besseres Auftreten am Telefon, seien in seinem Betrieb sehr wichtig. Dazu kommen praktische Aspekte wie ein B-Führerschein, besonders in einem kleinen Betrieb mit häufigen Kundenbesuchen. Als Nachteil empfindet Letuha, der seine Rolle als Lehrherr mit der eines Trainers vergleicht, dass er auf die Persönlichkeit der jungen Erwachsenen nicht mehr so einwirken kann wie bei Jugendlichen.

Matura schon während Lehre

Neben der Lehre nach der Matura gibt es auch die Möglichkeit, bereits während der Lehre eine Berufsreifeprüfung zu absolvieren. Hier werden in vier Hauptfächern entsprechende Prüfungen abgelegt. Die Extrakurse dafür finden in den Berufsschulen statt, begabte Lehrlinge werden laut Eppler dort aktiv angesprochen. Diese Absolventen seien bei Unternehmen als qualifizierte Mitarbeiter, die bereits im Beruf stehen, gefragt. Neben den Optionen wie einem Studium sei auch die Berufsmatura eine Frage des Prestiges – und ein Argument, das vor allem den Eltern die Lehre schmackhaft machen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2018)

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