Interview

Eine Koalition mit den Neos? „Ich wüsste nicht, wozu“

Sigrid Maurer
Sigrid MaurerMichèle Pauty
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Die Vize-Klubchefin der Grünen, Sigrid Maurer, findet die ÖVP „viel heterogener als es oft scheint". Ein Gespräch über „äußerst fragliche“ Koalitionen, die Rolle der Grünen im Parlament und das Thema Integration.

Die Presse: Grünen-Chef Werner Kogler hat die Nummer von ÖVP-Chef Sebastian Kurz schon lang eingespeichert. Ist sie auch in Ihrem Handy?

Sigrid Maurer: Nein.

Wird sich das noch ändern?

Das wird man sehen. Ich habe ihn kennengelernt, als ich ÖH-Vorsitzende war, aber wir haben nie Nummern ausgetauscht.

Sie haben einmal gesagt, Sie seien für viele eine Provokation, „weil ich sage, was ich mir denke“. Was denken Sie über Kurz?

Er hat eine erstaunliche Karriere in den letzten Jahren hingelegt, aber er ist für mich nach wie vor ein bisschen ungreifbar.

Kann man ihm also nicht vertrauen?

Ich denke schon, dass man ihm vertrauen kann, aber er ist jemand, bei dem man nicht sofort das Gefühl hat, man kennt sich aus.

Kennt man sich nach den bisherigen Sondierungsgesprächen etwas besser aus?

Auf jeden Fall. Ich bin ja nicht Teil des Sondierungsteams, aber wie man hört, sind die Stimmung und die Vertrauensbasis gut.

2017 sagten Sie, dass die „One-Man-Shows der Entertainer mit ihrer Schwarzweiß-Politik massiv demokratiegefährdend sind“. Da war Kurz wohl mitgemeint.

Es kann schon sein, dass Kurz mitgemeint war. Dass sich auch bei dieser Wahl in der ÖVP alles um ihn gedreht hat, war ja nicht zu übersehen.

Der Vorwurf war aber, dass das „massiv demokratiegefährdend“ sei.

Ich finde es natürlich problematisch, wenn eine Partei auf einen Heilsbringer aufgebaut ist. Das ist das Wesen von populistischen Parteien, und da sind die Grünen anders.

Hat sich das in der ÖVP jetzt verändert?

Die ÖVP ist viel heterogener als es oft scheint. Es gibt die schwarzen Landesparteien und unterschiedlich positionierte ÖVPler. Auch wenn alles auf Kurz fokussiert ist, ist der Rest der Partei ja nicht verschwunden.

Im Sommer sagten Sie: „Mit dieser türkisen ÖVP, mit Kurz, das stelle ich mir äußerst schwierig vor.“ Ist das noch so?

Grundsätzlich muss man sagen: Jetzt ist nicht mehr Wahlkampf.

Dann kann man die Wahrheit sagen?

Nein, das meine ich nicht, aber der Ton ist auf beiden Seiten gemäßigter. Grundsätzlich hat sich an den Rahmenbedingungen nichts geändert. Natürlich wäre es sehr schwierig. Aber man muss es trotzdem probieren.

Auch Kurz stellt es sich mit Ihnen schwierig vor, im Wahlkampf hat er ein Ministeramt für Sie ausgeschlossen. Sind Sie der Herbert Kickl der Grünen?

Ich hoffe nicht. Kurz' Aussage hat sich auf eine Erfindung von Norbert Hofer in einem TV-Duell bezogen, der vor mir als Innenministerin warnte. Es stand nie zur Debatte.

Kurz hätte das ja nicht aufgreifen müssen.

Es war im Wahlkampf. Ich nehm's sportlich.

Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Sie Ministerin – wenn auch nicht für Inneres – werden?

Wir sind jetzt in Sondierungsgesprächen. Mein Job als Vize-Klubchefin und geschäftsführende Parlamentarierin ist es, diesen Klub aufzubauen. Diese Debatte hat die FPÖ angezettelt. Unsere Personalpolitik machen wir aber schon selbst.

Dass Sie streiten können, haben Sie in den vergangenen Jahren oft bewiesen. Sind Sie auch diplomatisch veranlagt?

Diplomatisch ist das falsche Wort, sagen wir pragmatisch. Ich hatte ein gutes Diskussionsverhältnis mit Reinhold Mitterlehner als Wissenschaftsminister oder Josef Moser als Rechnungshofpräsident. Das schätze ich.

Muss man in einer Koalition auch streiten können?

Oh ja. Eine gute Konfliktkultur halte ich für das Um und Auf.

Türkis-Blau hat auch deswegen so gut funktioniert, weil die Bevölkerung den Eindruck hatte, dass nicht gestritten wurde.

Die Frage ist, was man alles auf offener Bühne ausstreiten muss. Unterschiedliche Meinungen sind Teil einer lebendigen Demokratie. Das Zurückweichen vor jeder Auseinandersetzung halte ich für problematisch.

Gäbe es weiterhin keinen Klubzwang?

Die Grünen hatten nie einen Klubzwang. Ob es ein abweichendes Stimmverhalten gibt, hängt ja am Inhalt, nicht am Zwang.

Was wäre die Rolle des Parlamentsklubs, wenn die Grünen in einer Regierung sind?

Die Grünen haben sich immer dafür eingesetzt, dass der Parlamentarismus ausgebaut wird. Das wird auch so bleiben. Die Abgeordneten hätten auch in einer Regierungskonstellation ihre eigene Rolle – diese müsste sich dann erst entwickeln.

Türkis-Grün hat nur fünf Mandate Überhang für eine Mehrheit. Es könnte sich anbieten, die Neos in die Koalition zu holen.

Ich kann keinen besonderen Mehrwert daran erkennen. Sollte es tatsächlich so weit kommen – und das ist äußerst fraglich, ich halte es nach wie vor nicht für den wahrscheinlichsten Fall . . .

Was meinen Sie?

Türkis-Grün. Es ist alles offen. Aber sollte es zu einer Regierung kommen, wäre sie stabil.

Die Neos braucht es also nicht.

Ich wüsste nicht, wozu.

Ein Stolperstein für Türkis-Grün könnte das Thema Integration sein. Kurz hat die Bewahrung der österreichischen Identität zum wichtigen Ziel erklärt. Was ist die österreichische Identität für Sie?

Ich kann wenig damit anfangen. In meinem Studium wurde uns erklärt, dass die Bevölkerung laut Studien die Lipizzaner, die Oper und das Schnitzel als österreichische Identität definiert. Ich habe schon damals als Tirolerin nicht verstanden, was das mit meinem Leben zu tun haben soll. Wir haben alle mehrere Identitäten: Ich bin Tiroler Dorfkind, Wiener Studentin und überzeugte Europäerin. Aber ich könnte nicht sagen, was das spezifisch Österreichische an der Identität wäre.

Können Sie nachvollziehen, dass die Angst besteht, diese Identität zu verlieren?

Nein. Es geht doch darum, wie wir unsere Gesellschaft organisieren und was wir als zentrale Werte definieren. Und ich finde, es ist sehr eindimensional gedacht, zu glauben, dass jemand, nur weil er von woanders kommt, bestimmte Wertvorstellungen nicht mitbringt. Es macht für mich keinen Unterschied, ob ein Patriarch aus Österreich kommt oder aus einer Einwandererfamilie. Die Mechanismen sind dieselben, und diese gilt es zu bekämpfen.

Wie gut funktioniert Integration? Besteht da nicht auch dringender Handlungsbedarf für eine türkis-grüne Koalition?

Ich halte viele dieser Probleme für aufgebauscht. Natürlich gibt es Dinge, die man da angehen muss, ganz zentral ist die deutsche Sprache. Aber es ist völlig klar, dass man Sprachen am besten lernt, wenn man mit Leuten spricht, die sie schon können.

Das war nun quasi die Forderung nach der Abschaffung der Deutschklassen?

Ja, alle Experten sagen, dass das in der jetzigen Form kontraproduktiv ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2019)

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