Wahlsieger

Van der Bellen: Kickl erhält nicht automatisch Regierungsauftrag

Susanne Schnabl und Hanno Settele besuchen den Bundespräsidenten und stellen ihm 20 Fragen.
Susanne Schnabl und Hanno Settele besuchen den Bundespräsidenten und stellen ihm 20 Fragen.(c) ORF/APA
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Der Bundespräsident betont, dass er nicht nur einem Wahlergebnis, sondern auch seinem Gewissen verpflichtet ist. FPÖ-Chef Kickl kritisiert diese Sichtweise als "persönliche Willkür".

Wenige Stunden vor seiner zweiten Angelobung als Bundespräsident, geht das Staatsoberhaupt klar auf Distanz zu FPÖ-Chef Herbert Kickl: Letzterer könne sich bei einem allfälligen Wahlsieg nicht sicher sein, automatisch den Auftrag zur Regierungsbildung zu bekommen, sagte Alexander Van der Bellen in einem ORF-Interview. Offen ließ der 79-Jährige in dem Gespräch, ob er den FPÖ-Chef als Kanzler angeloben würde. Kritik übte er an der Haltung der FPÖ zur EU und zum Russlandkrieg, und er erinnert an die Razzia im Verfassungsschutz.

Van der Bellen definierte "rote Linien", die aus seiner Sicht nicht überschritten werden dürfen. Und sagte dann, noch einmal befragt nach einem Regierungsbildungs-Auftrag an Kickl, sollte die FPÖ Erste werden: Er werde "eine antieuropäische Partei, eine Partei, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilt, nicht durch meine Maßnahmen noch zu befördern versuchen".

Van der Bellen über Kickl: „Fragen Sie ihn, nicht mich“ 

Man möge Kickl - und nicht ihn - fragen, "ob es richtig war, gegen sein eigenes Haus, gegen das Innenministerium, eine Razzia zu machen, die zu nichts geführt hat, außer dass die ausländischen Intelligence-Dienste jedes Vertrauen in Österreich verloren haben und und und ...." Ob er Kickl als Kanzler angeloben würde, ließ Van der Bellen in dem am Vorabend seiner Zweit-Angelobung ausgestrahlten Interview offen.

"Streng genommen" müsse man unterscheiden zwischen dem Regierungsbildungsauftrag, der nicht in der Verfassung stehe - und der Kanzler-Ernennung. Diese liege laut Verfassung in seiner "höchstpersönlichen Entscheidung". Dafür brauche er keinen Vorschlag, das sei "einer der ganz, ganz wenigen Punkte, in denen der Bundespräsident frei ist in seiner Entscheidung", erläuterte Van der Bellen - und merkte an: Er lege den Amtseid nicht nur auf die Verfassung ab, sondern sei auch seinem Gewissen verpflichtet - verspreche er doch auch, das Amt nach bestem Wissen und Gewissen auszuüben, und "darauf können Sie sich verlassen."

Kickl ortet „persönliche Willkür einzelner Person“ 

Kickl reagierte auf Van der Bellens Aussagen umgehend via Facebook. Offenbar solle nicht der Wählerwille in Sachen Regierungsbildung entscheiden, "sondern die persönliche Willkür einer einzelnen Person", postete er. Und wandte sich gegen die kritischen Anmerkungen des Bundespräsidenten zur FPÖ: "Um moralisch zu sein, genügt es, den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zu verurteilen. Alle anderen Angriffskriege sind offenbar gar kein Problem", schrieb Kickl, sowie: "Und zur EU darf man nur freundlich sein, sonst ist man ein Europafeind."

Abschließend merkte der FPÖ-Chef an: "Aha. Sehr neutral. Sehr demokratisch. Sehr moralisch. Sehr rechtsstaatlich. Sehr tolerant. Oder vielleicht doch nicht."

Einige Auseinandersetzungen mit Kurz gehabt

"Ja sicher, das hat sich ja anhand der Chat-Protokolle herausgestellt", lautete indes Van der Bellens Antwort auf die Frage, ob Österreich ein Korruptionsproblem hat. Er mahnte nicht nur die gesetzlichen Schritte ein - die Koalitions-Einigung zum Lückenschluss im Strafrecht begrüßte er -, sondern auch eine "Änderung der Haltung". Die in den Chat-Protokollen sichtbar gewordene "Freunderlwirtschaft" - "wie wir das so beschönigend in Österreich nennen" - müsse "wirklich aufhören, das ist ein Gift". Und die Regierung sollte diskutieren, was man vom Anti-Korruptionsvolksbegehren noch umsetzen kann bis zur Wahl. Er selbst hätte bei "diesen Chat-Geschichten" mehr kommunizieren sollen, räumte Van der Bellen ein. Da sei "nicht ganz zu Unrecht der Eindruck entstanden, ich halte mich zu sehr zurück".

Auch um das Verhältnis des Bundespräsidenten zu den Regierungsspitzen ging es. Mit ÖVP-Ex-Kanzler Sebastian Kurz - der ja "berühmt, manche sagen berüchtigt war für seine Versuche der Message Control" - habe er einige Auseinandersetzungen gehabt, aber "da soll man nicht empfindlich sein, das gehört zur Politik". Mit dem jetzigen Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) habe er "sehr gutes Arbeitsverhältnis entwickelt im Laufe der Zeit", meinte Van der Bellen - eigentlich angesprochen auf dessen kühle Reaktion auf Van der Bellens Silvester-Appell zur "Generalsanierung des Vertrauens", sei doch der von ihm - nach Ausbrechen der ÖVP-Chataffäre konstatierte - "Wasserschaden" noch nicht behoben.

Klimaaktivisten „nehmen Klebstoff, nicht Sprengstoff“ 

Durchaus positiv beurteilte Van der Bellen die von der ÖVP-Grün-Koalition geleistete Arbeit zur Linderung der Krisenfolgen. Da sei die Regierung "nicht untätig" gewesen, deshalb seien auch bei Beginn des Ukraine-Angriffs befürchtete Katastrophen - Gas- und Strommangel, nicht Heizen können etc. - nicht eingetreten. Nicht gelungen sei allerdings die Kommunikation der zahlreichen Maßnahmen, mit denen die Teuerungsfolgen abgefedert wurden.

Emotional zeigte sich Van der Bellen in Sachen Klimakrise. Er forderte nicht nur vehement mehr Tempo bei Gegenmaßnahmen ein, sondern trat auch scharf jenen entgegen, die die Klimakleber-Aktivisten als "Terroristen" bezeichnen - ohne die FPÖ zu nennen. Dies zu tun sei eine "Geschmacklosigkeit erster Güte", denn "diese Leute verwenden Klebstoff, ein Terrorist verwendet Sprengstoff". Auch der von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) im Vorfeld der niederösterreichischen Landtagswahl erhobenen Forderung nach höheren Strafen für Blockaden von Klimaklebern trat Van der Bellen klar entgegen: "Das finde ich weit über das Ziel schießend." Für "wirklich zumutbar" hielte er Tempo 100 auf der Autobahn.

(APA/Red.)

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