Ich schmeiß die Lehre hin: Das ist ja nur Ausbeute und Schikane!

Wenn junge Menschen im Lehrberuf stehen und die Lust auf Ausbildung verlieren, beginnt eine harte Zeit – für den Lehrling, den Betrieb und die Eltern.

„Ich mag nicht mehr. Jeder Tag ist die Hölle. Ich gebe auf!“ Was bedeutet so ein Schritt für den Lehrling und das Unternehmen? Handelt es sich um eine Durststrecke, die zu überbrücken gilt, oder ist die Lehre tatsächlich nichts für den jungen Menschen? In dieser Situation werden oft Schuldige gesucht: Der Freundeskreis, der ablenkt. Die Kollegen, die einen nicht mögen. Der Chef, der nervt. Das Handy, das um so vieles interessanter ist.

Was in dieser Situation zu tun ist: Statt nach dem Schuldigen nach den Ursachen zu forschen.

1. Ursache: Einschulungsphase
Der Vorteil an der Lehre ist, dass die Ausbildung nahe am Arbeitsalltag angesiedelt ist. Trotzdem gibt es in der Ausbildungszeit Phasen in denen eine reine Ausbildung erfolgt, zum Beispiel in der Grundausbildung. Das ist für viele Lehrlinge langweilig, aber notwendig! Nur wer das kann, kommt weiter. Viele Lehrlinge sind froh, endlich den Schulbetrieb den Rücken zu kehren, aber dann werden sie in der Lehre wieder in einem schulähnlichen Setting zum Lernen gebracht. Da geben viele auf.

  • Möglichkeiten der Unterbrechung suchen - nicht drei Monate in einem Stück die Grundausbildung durchzuziehen. Eventuell einen Praxistag die Woche einbauen, oder alle drei Wochen eine Woche etwas anderes machen.
  • Die Grundausbildung transparent und in Modulen abwickeln. Es ist leichter drei Module zu absolvieren als drei Monate Theorie!
  • Perspektiven aufzeigen – Wozu braucht man diese Fertigkeiten? Was kommt nach der Grundausbildung? Wettbewerbe und Vergleiche sind manchmal auch ein Ansporn!

2. Ursache: Falscher Lehrberuf
Viele jungen Menschen beginnen einen Lehrberuf mit falschen Vorstellungen über den Arbeitsalltag. So lange die Aufgaben neu sind fällt es nicht auf, dass der Lehrling im falschen Lehrberuf steckt. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem eine Leistung erwartet wird, die vom Lehrling nicht erbracht wird. Das kann nun am Desinteresse liegen, oder daran, dass der Lehrling den Beruf gar nicht erlernen kann.

Erfahrene Ausbilder und Personalisten können hier durch Beobachtung, Tests und offene Gespräche der Ursache auf den Grund gehen.

Handelt es sich um den falschen Lehrberuf, so sollte dem jungen Menschen unbedingt geholfen werden, einen geeigneteren Beruf zu erlernen. Die Gefahr ist groß, im falschen Lehrberuf zu versagen und so auf die schiefe Bahn zu geraten!

3. Ursache: Pubertät
Während der Lehre erleben die Jugendlichen eine intensive und spannende Zeit: Der Körper verändert sich, die Hormone fließen, die Beziehungen ändern sich. Das alles ist meist interessanter als die berufliche Zukunft – diese ist nämlich weit weg! Die Pubertät verläuft nicht bei allen jungen Menschen gleich. Bei manchen kommt sie früher - schon ab 13 Jahren - und bei manchen kommt sie später – erst mit 17 oder noch später.

Pubertät ist kein Dauerzustand, sondern sie erfolgt in Schüben. Das ist ein Vorteil. Der Ausbilder lernt seinen Schützling kennen und auf einmal ist alles anders. Ich kann mich auf den Lehrling nicht mehr verlassen, die Arbeit ist nicht fertig, der Jugendliche meldet sich nicht mehr ab, usw. In dieser Phase ist es wichtig dem Lehrling Stabilität und Sicherheit zu geben, denn die Welt steht ohne erkenntlichen Grund für den jungen Menschen auf dem Kopf.

Tipp: Bestehen Sie auf die Einhaltung der Regeln und weisen Sie immer wieder auf die Konsequenzen hin, aber nehmen Sie Druck aus der Beziehung. Zeigen Sie Verständnis. Der junge Mensch kriegt sich in der Regel nach ein paar Wochen wieder ein. Das ist eine Durststrecke. Wenn ein junger Mensch in so einer Phase die Lehre hinwerfen möchte, sollten Sie alles tun, um dies zu verhindern.

4. Ursache: Orientierungslosigkeit
Nicht alle Jugendlichen haben das Glück zu wissen was sie wollen, und worin ihre Talente liegen.

Manche Jugendliche wählen den Lehrberuf danach aus, wo sie einen Lehrplatz bekommen. Unternehmen wissen heute von dem Risiko und versuchen in Motivationsschreiben herauszufinden, ob der Jugendliche die Ausbildung auch wirklich machen möchte. Es kristallisiert sich erst während der Ausbildung heraus, dass der junge Mensch gar nicht weiß was er werden will. Ist „durchbeißen“ sinnvoll?

Antwort: Es hängt davon ab, an welchem Punkt der Lehre diese Orientierungslosigkeit offenkundig wird. Ein Abschluss einer Berufsausbildung ist heute von zentraler Bedeutung. Am besten schließt man eine Ausbildung ab, in der man auch später arbeiten möchte. Manches Mal gelingt das jedoch nicht. Je später in der Ausbildung die Ablehnung erkannt wird, desto schwerer ist ein Wechsel, desto ratsamer ist ein Durchbeißen.

5. Ursache: Ablenkung
Wichtigkeiten und Prioritäten werden von jungen Menschen heute anders wahrgenommen: Sie wachsen mit Sozial Media auf und vielen „Erwachsenen“ ist die Bedeutung dieser Welt nicht nachvollziehbar. Jungen Menschen ist heute nicht mehr langweilig. Sie können mit Langeweile nicht umgehen. In solchen Momenten wird sofort nach einer geeigneten Ablenkung gesucht. Meist finden junge Menschen heute die Ablenkung auf ihrem Handy. Welche Bedeutung hat dies auf den beruflichen Alltag? Wenn ein junger Mensch auf sein Handy sieht, so ist er abgelenkt von der Arbeit. Oder er lenkt sich ab, weil er gerade keine offensichtliche Arbeit hat. Arbeit zu sehen, muss erst gelernt werden. Vielleicht wird es in Zukunft eine App geben, in der die Checkliste zu finden ist, was zu tun ist, während ich „NICHTS“ zu tun habe. Bis dahin, sind Ausbilder jedoch gefordert, den jungen Menschen Routinen anzubieten, um Arbeit sehen zu lernen.

6. Ursache: Unterforderung oder Überforderung
Ob ein Jugendlicher überfordert oder unterfordert ist, erkennt man nicht gleich. Die Auswirkungen sind ähnlich: Sie wirken gelangweilt und sind abgelenkt und unkonzentriert. Die einen, weil sie die Aufgabe nicht verstanden haben, die anderen, weil sie zu einfach ist. Erst bei genauerer Betrachtung kann erkannt werden, warum Lehrlinge eine Aufgabe nicht erledigt.

Jene Lehrlinge die überfordert sind, sollten unterstützt werden. Manchmal ist es notwendig, in Teilbereichen der Ausbildung noch einmal von vorne anzufangen. Es ist die Frage zu stellen, ob der Lehrling überhaupt in der Lage ist diese Aufgaben zu erfüllen. Und wenn dies nicht möglich ist, muss darüber entschieden werden wie die Lehrabschlussprüfung bestanden werden kann.

Ausbildung muss in jedem Fall geplant werden, mit Herausforderungen und Zielen verbunden werden, und so für den Lehrling transparent und spannend sein.

Wenn ein Jugendlicher unterfordert ist, dann haben die Ausbilder die Möglichkeit mit höheren Zielen und attraktiveren Aufgaben die jungen Menschen zu fordern. Je besser der Ausbildungsplan in einem Unternehmen erarbeitet wurde, desto flexibler sind die Ausbilder, um auf die Talente der jungen Menschen eingehen zu können. Sowohl auf jene die sich schwer tun, als auch auf jene die mehr leisten können.

Mag. Vittoria Bottaro hat mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Lehrlingsausbildung. Heute ist Bottaro selbstständige Unternehmensberaterin in Annenheim/Kärnten mit dem Schwerpunkt Lehrlingsausbildung.
www.bottaro.at

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