Arik Brauer: „Der Wohlstand macht die Leute wehleidig“

Arik Brauer, 1929 geboren, überlebte die Nazi-Zeit in einem Versteck. Er lebte in Israel und Frankreich und kehrte 1964 nach Wien zurück.
Arik Brauer, 1929 geboren, überlebte die Nazi-Zeit in einem Versteck. Er lebte in Israel und Frankreich und kehrte 1964 nach Wien zurück.(c) Mirjam Reither
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Arik Brauer wird am Freitag 90 Jahre alt. Im Gespräch mit der „Presse“ erinnert er sich an seine Kindheit in Ottakring, die Welt der Gassenbuben und erklärt, dass im Vergleich zu früher auch die Armen heute im Reichtum leben.

Die Presse: Viele verzagen ja schon beim Fünfziger. Wie geht es Ihnen mit der Ziffer 9 vor dem Lebensalter?

Arik Brauer:
Ich glaube nicht, dass der Neuner etwas ändert. Das Alter passiert ja nicht mit einem bestimmten Datum, sondern praktisch mit der Geburt. Ich habe das Glück, dass ich gesund bin und fast alles machen kann, was ich in meiner Jugend getan habe. Ich kann malen, schreiben, singen und ein bisserl nachdenken geht auch noch.

Sie wirken sehr agil. Haben Sie Ihrem Körper ein Regime auferlegt?

Nicht wirklich. Aber ich schwimme sehr gerne. Ich bewege mich gerne, auch wenn ich diesbezüglich nicht diszipliniert bin. Wenn eine gute Musik ist, tanze ich auch noch.

Die heutige Generation ist digital sehr vernetzt, scheut aber oft die konkrete, enge Beziehung. Sie sind seit 62 Jahren mit Ihrer Frau verheiratet. Wie geht so etwas?

Man braucht Geduld. Wenn man die Dreißigerjahre in der Wiener Vorstadt erlebt hat, dann weiß man, in welch ungeheurem Reichtum heute auch die Armen leben. Arm ist heute jemand, wenn er sein Benzin nicht zahlen kann. Das ist ein ganz anderes Armutsniveau als damals. Der Wohlstand führt dazu, dass die Leute heute ungeduldig und wehleidig sind. Es darf nichts wehtun. Nicht einmal beim Zahnarzt. Dort kannst du einschlafen, während der operiert. Bis in die Sechzigerjahre waren Schmerz, Unannehmlichkeiten, etwa dass einem kalt ist oder dass man nass wird, noch selbstverständlicher Teil des Lebens. Das hat sich grundlegend verändert und so sind die Menschen nicht mehr fähig, ein Leben lang tolerant mit einem Menschen zu leben.

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