„Loro – die Verführten“: Der große Traumtänzer Berlusconi

Berlusconi (Toni Servillo) in den Armen seiner zweiten Frau (Elena Sofia Ricci) – nein, die Ehe ist nicht mehr in Ordnung, das möchte er nur gern glauben. nur gern glauben.
Berlusconi (Toni Servillo) in den Armen seiner zweiten Frau (Elena Sofia Ricci) – nein, die Ehe ist nicht mehr in Ordnung, das möchte er nur gern glauben. nur gern glauben.Filmladen
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Bei „Loro – Die Verführten“ stößt Paolo Sorrentinos melancholisch-augenzwinkernde „Ach, so ist sie, die Welt“-Attitüde an ihre Grenzen. Silvio Berlusconi und seine Bewunderer lassen sich so nicht fassen.

Irgendwann greift Berlusconi in seiner Verzweiflung – er ist nicht mehr Ministerpräsident und seine Frau straft ihn mit Verachtung, obwohl er ihr doch jetzt die Welt zu Füßen legen möchte – zum Telefon. Er will es wissen: Ist er noch der große Verkäufer, für den ihn immer alle gehalten haben? Oder sind ihm sein Schwung, seine legendäre Überzeugungskraft mit den Jahren abhandengekommen? Er sucht eine x-beliebige Nummer heraus und ruft an. Er habe da ein Angebot für sie, erklärt er der älteren Dame am anderen Ende der Leitung. Eine Wohnung mit Balkon! Preisgünstig. Überaus preisgünstig. Ein wenig teurer als die jetzige vielleicht, aber das habe sie sich verdient! Doch so leicht ist die Dame nicht zu überreden, sie bleibt skeptisch, um ein Haar legt sie auf, bis Berlusconi zum Balkon noch einen Garten drauflegt, eine Sauna, sogar ein Schwimmbad. Und obwohl sie spätestens da erkennen müsste, wie unseriös dieses Angebot ist – jetzt will sie ihm glauben.

Es ist eine der wenigen Szenen, in denen „Loro“ seiner Intention gerecht wird: Darüber nachzudenken, warum sich ein halbes Land von Berlusconi hat verführen lassen.

Und es ist eine von vielen Szenen, in denen wir Berlusconi als Lebenskünstler und Traumtänzer begegnen. Als einen, der an sich zweifelt. Der doch nur geliebt werden will! Dieser Berlusconi kann die Italiener manipulieren, weil er ihre geheimsten Hoffnungen und Träume kennt. Und er würde sie ihnen auch gern erfüllen, wirklich. Nur blöd, dass Politik so kompliziert ist, dass ihm dauernd irgendwelche Staatsanwälte oder Journalisten auf den Fersen sind, die ihn daran hindern, seinem Land zu dienen.

Nette Bunga-Bunga-Partys

Toni Servillo spielt Berlusconi – und mit den unnatürlich dunkel gefärbten Brauen und dem maskenhaft zurechtgezurrten Gesicht sieht er ihm tatsächlich ein bisschen ähnlich. Trotzdem erinnert Servillo den ganzen Film über immer wieder an eine andere Sorrentino-Figur, die er gespielt hat: an die des Schriftstellers in „La Grande Bellezza“ aus dem Jahr 2013.

Vielleicht, weil beide Filme durch die Augen ihrer Hauptfiguren diesen melancholisch-augenzwinkernden Blick auf die Gesellschaft werfen? Was für ein Zirkus! All die Frauen, die sich den Mächtigen an die Brust werfen wollen. All diese opulenten Feste, mit denen die oberen Zehntausend zu vergessen suchen, dass auch sie endlich sind. Die Ehrgeizlinge, die alles tun, um hochzukommen, und doch alles verlieren. Diese Menschen in ihrem Wahn und Dünkel! Und Sorrentino findet für all das wunderbare Bilder, wie wir sie auch aus der Serie „The Young Pope“ oder dem Film „Ewige Jugend“ (2015) kennen.

Das Problem: Damit er die Welt der Macht auf diese abgeklärte Weise porträtieren kann, muss Sorrentino wegschauen. In seinen Bunga-Bunga-Partys etwa tauchen keine Minderjährigen und keine Prostituierten auf. Und auch keine weiteren alten Typen mit Schmerbauch und schlechtem Atem, die mit der Einladung das Recht auf die Zutraulichkeit junger Frauen erworben zu haben glauben. Nein, da ist nur der schelmische Berlusconi. Und die vor ihm aufreizend tanzen, sind aus freien Stücken hier – ehrlich angezogen von der Erotik der Macht. Warum soll Berlusconi da Nein sagen?

Hätte Sorrentino doch mehr Casanova gelesen, den späten, den alten.

Wie auch immer. Langweilig wird einem in diesem Film trotzdem nicht, immer wieder gibt es beglückende Szenen und Bilder. Etwa wenn ein Lastwagen über eine Brüstung fällt und der von ihm transportierte Abfall pittoresk durch die Luft wirbelt – um in der nächsten Einstellung als bunte Tabletten voller selig machender Partydrogen auf die tanzenden jungen Frauen herabzuregnen. Oder wenn eine Mutter das Essen für die Kinder zum Aufwärmen in die Mikrowelle stellt: 20 Sekunden, 19, 18 . . . Sorrentino inszeniert diese Szene, als würde bald eine Bombe hochgehen! Dabei will die Frau nur noch schnell ein paar Lines ziehen. Was sie pünktlich zum „Pling“ auch schafft. Essen warm, Mutter high.

Berührend auch, wie Feuerwehrleute eine Christus-Figur aus einer vom Erdbeben in L'Aquila zerstörten Kirche bergen. Diese Figur gehört zu einer Pietà, also einer Beweinung. Maria beugt sich gramerfüllt über ihren toten Sohn, der für die Menschen sein Leben gelassen hat.

Es ist das Schlussbild. Nein, wir werden das jetzt nicht deuten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2019)

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