Die nimmermüde Leinwand-Wanderlust des Wim Wenders

„Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“.
„Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“.Filmarchiv
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Das Fernweh hat den deutschen Filmemacher früh gepackt – und bis heute nicht losgelassen. Sein Gesamtwerk wird nun in Wien gezeigt.

„Kannst du mir sagen, wohin du gehst?“, fragt Walt (Dean Stockwell) seinen Bruder Travis (Harry Dean Stanton), der nach jahrelanger Abwesenheit aufgetaucht ist – und sich gleich wieder auf die Socken machen will. „Da draußen ist nichts“, meint der Bodenständige zum Wanderlustigen, in die Weite der amerikanischen Prärie deutend. Doch Travis scheint ihn nicht zu hören. Für ihn ist da draußen alles: Freiheit, Hoffnung, Ruhe, Frieden – undeutlich und verschwommen zwar, aber doch. Und irgendwo, am Ende des Horizonts, liegt vielleicht sogar etwas wie Heimat.

Diese Szene aus „Paris, Texas“ (1984) ist emblematisch für Wim Wenders' Werk. Selten wollen seine Streunerhelden bleiben, wo sie sind: Es zieht sie in die Ferne, oft ohne Ziel vor Augen, die unerschöpfliche Sehnsucht nach einem unbestimmten Anderswo als buchstäblicher Beweggrund. Seit über 50 Jahren bring Wenders diese Sehnsucht auf die Leinwand, macht sie in immer neuen Variationen nachempfindbar. Das Filmarchiv Austria widmet dem „Weltreisenden“ nun eine Gesamtwerkschau, die bis Ende Februar läuft – ein Monat reicht nicht für die Vielzahl ihrer Stationen.

Von Handke „auf Schiene gesetzt“

1945 in Düsseldorf geboren, wurde Wenders früh vom Fernweh gepackt. Musik und Kino der Traumdestination USA beflügelten seine anfänglich auf Malerei geeichte Künstlerfantasie: Im Kurzfilm „3 amerikanische LP's“ (1969) verleihen Songs von Van Morrison und Creedence Clearwater Revival der tristen Vorstadtlandschaft Münchens wehmütigen Glanz. Peter Handke war kreativer Beifahrer der 16mm-Spritztour – laut Wenders hat er ihn damals „auf Schiene gesetzt“.

Die Verfilmung von Handkes „Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1972) brachte den ersten Erfolg und etablierte das zentrale Motiv des Regisseurs: Drifter neben der Gesellschaftsspur, die Rüdiger Vogler („Alice in den Städten“, „Falsche Bewegung“, „Im Lauf der Zeit“) ebenso gut spielen konnte wie Bruno Ganz („Der amerikanische Freund“). Ihre Abschweifungen bilden den Anfang einer vielfach preisgekrönten Schaffensperiode, die bis in die 1990er-Jahre hineinreichte: für viele Wenders' Blütezeit als global anschlussfähiger Arthaus-Melancholiker.

Die Qualität jüngerer Arbeiten mag schwanken, die Produktivität tut es nicht. Eine von vielen Parallelen zum eigentlich kaum vergleichbaren Zeitgenossen Werner Herzog – neben der Ortsungebundenheit, dem periodischen Wechsel zwischen Spiel- und Dokumentarfilm und dem Mut zum Experiment. Auch Wenders probierte sich früh an den Möglichkeiten digitaler 3D-Technologie, die er „zärtlich“ nennt – am Eindrucksvollsten im Choreografen-Tribut „Pina“.

Der einsame Vagabund hat sich sukzessive aus den Filmen des Rheinländers verzogen. Seine aktuellen Hauptfiguren suchen verstärkt Nähe zu ihren Mitmenschen, im Nacken dräut nämlich eine weltumspannende Finsternis, sei sie nun kulturell bedingt („Die schönen Tage von Aranjuez“, 2016) oder geopolitisch („Submergence“, 2017). Doch der ökumenische Christ Wenders bewahrt sich seinen Wunderglauben – und sucht Lichtgestalten im Dunkel. Etwa Papst Franziskus, im Porträt des Regisseurs ein „Mann seines Wortes“. Solange es noch ein Anderswo gibt, braucht man den Kopf ohnehin nicht hängen zu lassen.

Filmschau: 10. Jänner bis 28. Februar

Bis einschließlich Freitag finden die Vorstellungen im Metro Kino in Anwesenheit von Wim Wenders statt. Begleitend zur Schau eröffnet dort auch eine Ausstellung, die frühe Reisefotografien des Regisseurs präsentiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2019)

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