Film: Der rechte Hetzer am Mikrofon

Steve Coogan mimt einen Radiomoderator, der mit Rassismus Quote macht.
Steve Coogan mimt einen Radiomoderator, der mit Rassismus Quote macht.(c) Walter Thomson
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„Hot Air“ von Frank Coraci über einen zynischen Radiomoderator ist überraschend unpolitisch geraten. Sein Rezept gegen rechten Hass: die Liebe eines Kindes.

In der wohl besten Szene des Films rastet Radiostar Lionel richtig aus. Er ist in der Show eines Konkurrenten zu Gast. Es war eine Einladung, die er nicht abschlagen konnte, ohne feige zu wirken, also hat er zugesagt. Ein Fehler. Nichts, was er sagt, verfängt beim Studiopublikum, noch die schärfsten Pointen quittiert es mit müdem Gemurmel, und als sein Gegenüber dann auch noch intime Details aus Lionels harter Kindheit ausplaudert, platzt ihm der Kragen.

Er holt zu einer Rede aus, die noch wütender und zynischer und hasserfüllter ist, als man es von ihm gewohnt ist. Vor allem: Diesmal hetzt er nicht nur gegen Migranten, mokiert sich über Doppelnamen oder ruft eine demokratische Senatorin zur Staatsfeindin Nummer eins aus. Nein, er attackiert das Publikum selbst. Bequem sei es und zu faul zum Denken, würde jeden Blödsinn glauben, den man ihm vorsetzt, es sei selbstgefällig und korrupt und süchtig nach schlimmen Nachrichten. „Ihr lügt, betrügt und stehlt – wir sind nur besser darin als ihr, und darum betet ihr uns an!“

Schmonzette vom alten Mann

Im Publikum sitzen seine Pressesprecherin und seine Nichte, beide sind verstört. Jetzt ist er endgültig zu weit gegangen, denken sie, das hier kostet ihn den Job oder zumindest einen Teil seines Publikums. Aber nichts dergleichen passiert. Alle finden seinen Auszucker super, und der Senderchef will noch mehr davon. Wie meinte einst Donald Trump? Er würde nicht einmal Wähler verlieren, wenn er mitten auf der Fifth Avenue jemanden niederschösse. So geht es Lionel mit seinen Hörern.

Diese Szene ist nicht nur die mit großem Abstand beste des Films, sie ist auch die politischste – in einem Film, der sonst eigentümlich unpolitisch geraten ist. Wenn man bedenkt, dass in seinem Mittelpunkt ein radikal rechter Radiomacher steht, wie es sie in den USA zuhauf gibt. Aber statt die Dynamik des florierenden Handels mit Hass und Hetze zu ergründen, erzählt Regisseur Frank Coraci lieber die Schmonzette vom alten Mann, den das Leben bitter und böse gemacht hat, der sich aber der bedingungslosen und ehrlichen Liebe eines Kindes öffnet und plötzlich erkennt, dass er irgendwie doch ein Herz hat.

Taylor Russell spielt dieses Kind, Lionels 16-jährige Nichte, die plötzlich in seiner weitläufigen und teuer eingerichteten Wohnung am Central Park steht. Sein erster Impuls ist natürlich, sie hochkant rauszuwerfen. Was soll er schließlich mit dem ungeliebten Balg seiner ungeliebten alkoholkranken Schwester? Doch Tess droht, ihn auf Twitter bloßzustellen, also lenkt er ein. In der Folge sehen wir Steve Coogan dabei zu, wie er entweder ein totales Ekel mimt, das zusätzlich zur Trump'schen Mauer noch einen Graben fordert, plus Stacheldraht, und einen um seine Oma besorgten Fünfjährigen zum Heulen bringt. Oder aber den lieben Onkel gibt, der rührend um das Wohlwollen des Mädchens besorgt ist – sie einkleidet, ihr einen Job besorgt und sich auch nicht aus der Ruhe bringen lässt, als das Mädchen ihn als zynisch und gemein beschimpft.

Man nimmt ihm beides nicht ab. Und man nimmt dem Film seine Botschaft nicht ab. Die lautet: Seht her, so wird, wer als Kind nicht geliebt wurde. Wer keine Mutter hatte, auf die er sich verlassen konnte. Aber mit ein bisschen Liebe wird das alles wieder gut.

Wird es nicht, leider. Und Lionel wird weiter hetzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2019)

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