„Motherless Brooklyn“

Der Detektiv mit den Tics

Im Zentrum einer Intrige: Gugu Mbatha-Raw und Edward Norton als Detektiv mit Tourette-Syndrom.
Im Zentrum einer Intrige: Gugu Mbatha-Raw und Edward Norton als Detektiv mit Tourette-Syndrom.Warner Bros.
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Edward Norton macht aus dem Bestseller „Motherless Brooklyn“ einen stilsicheren Neo-Noir, dessen Protagonist wie die Antithese zum „Joker“ wirkt. Ab Freitag im Kino.

Wenn er unter Stress steht, übernehmen die Tics. Dann zuckt Lionel Essrogs Kopf zur Seite und er brüllt Stakkatos aus Obszönitäten oder Sinnlosem in seine Armbeuge. Fremde antworten ihm darauf in der Regel mit „Gesundheit!“, seine Freunde nennen ihn einen Freak. Edward Norton spielt den Detektiv mit Tourette-Syndrom aus Jonathan Lethems Bestseller „Motherless Brooklyn“ unter seiner eigenen Regie mit Hingabe – und ohne das Krankheitsbild überzustrapazieren.

Alles beginnt mit der Ermordung von Frank Minna (Bruce Willis), für den Essrog arbeitet und dem er in Liebe verbunden ist, seit Minna sich seiner angenommen hat. Nach der Kindheit im Waisenhaus hat er ihn zu einem „Minna-Mann“ gemacht, einem Mitarbeiter in seinem zwielichtigen Detektivunternehmen und Familienmitglied. Es ist also naheliegend, dass Essrog alles daran setzt, herauszufinden, wer seinen Wohltäter auf dem Gewissen hat.

Spielt Lethems Romanvorlage, deren Verfilmungsrechte Norton gleich nach Erscheinen gekauft hat, im Kleinkriminellenmilieu der 1990er-Jahre, verlegt Norton die Handlung nun in die Golden Fifties. Das eröffnet ihm einerseits die Möglichkeit, schicke Automobile, Hüte und großartigen Jazz zum Einsatz zu bringen – stilsicherer Neo-Noir. Andererseits erlaubt es, die Geschichte als Fabel über Machtmissbrauch und institutionellen Rassismus beim generalstabsmäßigen Stadtumbau New Yorks auf Kosten der ärmeren Bevölkerung zu erzählen.

Nachts im Jazzclub

„Motherless Brooklyn“ ist Nortons zweite Regiearbeit und großes Star-Kino. Neben dem Regisseur, Drehbuchautor, Produzenten und Hauptdarsteller in Personalunion und Bruce Willis spielen Alec Baldwin und Willem Dafoe überzeugend wie lang nicht; und mit Gugu Mbatha-Raw, die als Laura Rose im Zentrum der sich langsam enträtselnden Intrige steht, gibt es einen kämpferischen weiblichen Charakter, der weit mehr ist als nur ein Love Interest des Helden. Roses Zuhause ist die Nachtwelt eines Jazzclubs in Harlem; die Tage widmet sie mit einer streitbar-durchsetzungsstarken Bürgerrechtsaktivistin (Cherrie Jones) dem Kampf gegen die sogenannten Slumbeseitigungen der städtischen Baubehörde, die wenig anderes sind als großflächige Gentrifizierung.

Wie sein offensichtliches Vorbild, der Polański-Film „Chinatown“ von 1974, will „Motherless Brooklyn“ mehr sein als ein unterhaltender Gangsterfilm. Deutlich geht es darum, Stellung zu beziehen. So kommt es nicht von ungefähr, wenn der von Baldwin verkörperte rassistische Stadtbautycoon Moses Randolph in seinen Tiraden an Donald Trump erinnert. Seine Beschwörungen, dass die Welt den Machern, nicht deren Kritikern gehöre, bringen seine Anhänger zum Jubeln.

Überhaupt wird viel polemisiert und geredet im Film. Dass es viele falsche Fährten gibt, erfordert vom Publikum einige Aufmerksamkeit. Die feine Figurenzeichnung sorgt jedoch dafür, dass das Interesse an den Charakteren und ihrer Entwicklung nicht nachlässt. Wie Essrog beim Besuch in einer Bar einer Frau dreimal mit einem Streichholz Feuer reicht, das Streichholz aber, kaum dass es entflammt ist, wieder ausbläst – „Entschuldigung!“ –, bleibt ebenso in Erinnerung wie viele andere hübsche Ideen zur Visualisierung des Chaos in seinem Kopf.

Dieser Held will kein Rächer sein

Die andere Seite seines Handicaps ist ein fotografisches Gedächtnis, das bei der Lösung des Falls eine entscheidende Rolle spielt. Dennoch geht Essrogs Wandlung vom Underdog, der häufiger zusammengeschlagen wird als Arthur Fleck imFilm „Joker“ und seine Tics nur durch Alkohol und Marihuana unter Kontrolle halten kann, zum ritterlichen Fall- und Problemlöser alles in allem etwas zu glatt über die Bühne. Dass ihm der genretypische Zynismus abgeht, lässt ihn zusätzlich weicher – und dadurch harmloser – erscheinen als Vorbilder wie Jack Nicholson in „Chinatown“. Oder eben als den Joker, zu dem er wie eine Antithese wirkt.

Es macht ihn aber auch zu einer relativ neuen Art von Helden. Nortons Essrog ist kein verbitterter Mann, der sich für seinen Schmerz an der Welt rächen möchte. Im Gegenteil hat er in sympathischer Weise zu melancholisch grundierter Abgeklärtheit gefunden. Statt um sich zu schlagen, ist er bereit, über sich selbst zu lachen und zu akzeptieren, dass es Bedeutenderes gibt als die eigenen Defekte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2019)

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