In London sieht Klimt alt aus

In dieser Skizze stehen noch beide „Liebenden“ (1907/1908) – in dem in denselben Jahren ausgeführten „Kuss“-Gemälde ist es dann aber auch schon wieder zu Ende mit der Gleichberechtigung, da kniet die Frau. Würde sie aufstehen, wäre sie eine Riesin.
In dieser Skizze stehen noch beide „Liebenden“ (1907/1908) – in dem in denselben Jahren ausgeführten „Kuss“-Gemälde ist es dann aber auch schon wieder zu Ende mit der Gleichberechtigung, da kniet die Frau. Würde sie aufstehen, wäre sie eine Riesin. (c) Albertina
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Royal Academy. Anlässlich der 100. Todesjahre von Klimt und Schiele 2018 schickte die Albertina ihre Zeichnungen der beiden um die Welt: In London endet nun diese Tournee.

Zu Egon Schiele haben die Engländer ein fast liebevolles Verhältnis: David Bowies Faszination für den Wiener Extremkünstler hat dafür wohl ebenso gesorgt wie die von Brit-Art-Star Tracey Emin. Selbst die Zensur der Österreich-Werbeplakate 2017 mit überklebten Schiele-Genitalien („Sorry, 100 years old but still too daring today“) in der Londoner U-Bahn wirkte eher wie eine Hommage an den englischen Hang zur Provokation. Mit Gustav Klimt tut man sich dagegen schwerer, er gilt eher als dekoratives Leichtgewicht (und Kassenschlager natürlich). Bekommt Schiele immer wieder Einzelausstellungen (2017: Tate Liverpool, 2014: Courtauld Gallery), ist Klimt unterrepräsentiert.

Wobei es von beiden Künstlern an Originalen in den öffentlichen Sammlungen mangelt, Klimt ist gerade einmal mit dem Porträt der Hermine Gallia in der National Gallery vertreten. Als Abschluss der Tournee der Albertina-Zeichnungen Klimts und Schieles anlässlich von deren 100. Todesjahr 2018 sind nach Moskau und Boston jetzt erstmals in der Royal Academy Papierarbeiten der beiden zu sehen. Mit rund 100 Werken arrangierte man hier einen freundschaftlichen Dialog zwischen den beiden, die so gern in der Vater-Sohn-Konstellation wahrgenommen werden.

Bei Schiele mag das stimmen, er verfolgte Klimt mit seiner Wertschätzung bis ans Totenbett – und fertigte in der Leichenkammer des AKHs noch Porträts von dem Verehrten an. Von Klimts Verhältnis zu dem 28 Jahre Jüngeren, der ihm nur wenige Monate später in den Tod gefolgt ist, wissen wir wenig, etwa, dass Klimt den 19-jährigen Schiele in die von ihm mitorganisierte Kunstschau 1909 aufgenommen hat. Wie viele andere junge Künstler auch.

Schiele und der Beethoven-Fries

Damals steckte Schiele tief in seiner Klimt-Phase, man sieht, wie er sich als „silberner Klimt“ zu positionieren versuchte. Marian Bisanz-Pracken stellt im Londoner Katalog jetzt die These auf, dass aber auch der Sprung hin zu Schieles expressiver Phase 1910 von einer Begegnung mit einem Klimt-Werk ausgelöst wurde: Schiele lernte Ende 1909 den Sammler Carl Reininghaus kennen, der damals Klimts radikalstes Werk besaß, den 1903 von den Secessionswänden abgenommenen Beethoven-Fries. Schiele wird die von extremen Leerstellen rhythmisierten Tafeln wohl gesehen haben.

Die Konzentration auf den Menschen, die psychologisch aufgeladene Linie, die Macht der Auslassung, die serielle Erkundung der Erotik – all das verbindet Klimt und Schiele, all das liest man bequem aus dieser eleganten Ausstellung heraus. Auch die Unterschiede werden klar, wenn sich unter der Haut von Klimts Schönen bei Schiele knochig die Angst herauszubeulen beginnt. Vor allem aber wird klar, dass Schiele in diesem Dialog der zeichnerischen Werke das letzte Wort hat – sein manchmal zwischen den Geschlechtern verschwimmendes Posing, seine radikal sexualisierten, existenziell überspitzten Selbstporträts weisen eindeutig aufs Performative, auf Genderdebatten, die Jahrzehnte später erst folgen.

Klimts Zeichnungen dagegen sind vorwiegend Studien für seine Gemälde, die in dieser Ausstellung nicht vorkommen, in denen aber seine Neuerungskraft in Richtung Abstraktion liegt. Seine eigenständigen Blätter, die Tausenden Zeichnungen von Modellen, zum Teil sich selbst befriedigend, erzählen dagegen eine viel subtilere, schwieriger zu durchblickende Geschichte damals aufkeimender weiblicher Selbstbestimmung. Man mag sie, aus heutiger Sicht, wohl nicht so gern von einem Mann erzählt bekommen.

„Klimt/Schiele. Drawings from the Albertina Museum“, Royal Academy, bis 3. Februar

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2019)

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