Motorrad-Schaukelpferd in der Secession

Leere Körperhüllen in blau oder rosa hängen lasch in Birckens Secessions-Ausstellung ab.
Leere Körperhüllen in blau oder rosa hängen lasch in Birckens Secessions-Ausstellung ab.Sophie Thun
  • Drucken

Selten genug, dass hier gleich zwei Ausstellungen überzeugen: Tillman Kaiser spielt im Hauptraum mit Retro-Kultformen. Alexandra Bircken mit Latex und Motoren.

Als temporärer „Tempel“ der Moderne um 1900 geplant, verströmt zumindest der Hauptraum der Secession heute noch die Aura des Weiheorts für das, was gerade State of the Art ist bzw. von einer sich hier elitär selbst verwaltenden Kunstcommunity als solches anerkannt wird. Für den durchschnittlichen österreichischen Künstler ist der Hauptraum also durchaus Sehnsuchtsort. Tillman Kaiser kann sich darüber leicht lustig machen mit seinem Ausstellungstitel „Im Dom“ – er ist schließlich schon dort angekommen.

Der 1971 in Graz geborene Künstler ist bekannt für seine verrätselten Skulpturen und Collagen, die wie Kultgegenstände eines modernistischen Retro-Science-Fiction-Kults wirken. Klingt kompliziert? Ist vor allem aber erstens sehr schön anzuschauen. Zweitens ein Spiel für die Wahrnehmung. Die Skulpturen im Raum, ebenfalls Collagen aus Fundgegenständen und Selbstgebasteltem, sind leichter zu- bzw. umgänglich: Ein Sessel, aus dessen Lehne in kubistischen Zacken eine fast Franz-West-lemurenhafte Gesichter-Keule erwächst. Eine ebenfalls zackige Eisen-Abschussvorrichtung, die eine der Raketen des verstorbenen slowakischen Dada-Konzept-Utopisten Stano Filko fast liebevoll umfängt. Ein windschiefer Turm aus alter Hummer-Reuse und tischartigem, verspiegelten Reliefkopf-Gebilde, auf dem tatsächlich ein historischer Vogelkäfig in Kirchenform thront. Mit zwei Christbaumkugeln drinnen.

Die Collagebilder an der Wand sind abstrakter und noch vielschichtiger, meist Kombinationen aus selbst mit einer Lochkamera aufgenommenen Objekten, die Kaiser dann mit geometrischen, teils an okkulte Muster erinnernden Formen wie Augen und Kreisen übermalt. Kniet man nieder (zahlt sich ja aus hin und wieder), entdeckt man plötzlich einen Satz. Einen Satz! Eine Erklärung, einen Hinweis vielleicht? Es geht um den Heilerfolg einer Antilopenleber (zumindest für einen Journalisten im angolesischen Unabhängigkeitskrieg, wie man später recherchiert). Im Bild kann man beim besten Willen keine Antilopenleber entdecken. Es ist also wie ein kostbares Fundstück, nur für einen selbst. Reicher wieder aufstehen also. Und Stiegen abwärts gehen.

Dort sollte man eigentlich genau nicht die erste Wiener Einzelausstellung der deutschen Radikal-Bildhauerin Alexandra Bircken betreten, die gerade bei der Biennale Venedig dem Bild von Angela Merkels Rauten-Händen ein anderes, ebenfalls weit geöffnetes Loch gegenüberstellt – den Bronze-Abguss einer Sexpuppe. Auch in der Secession wollte sie andere Zugänge weisen, ein Schild zeigt eindeutig den Weg über die Außenstiegen hinunter in den Keller an. Wenn das Wetter aber nicht passt, müsste man dort allerdings ziemlich laut klopfen. Oder eben die Innentreppe nehmen.

Lasche Latexmenschen-Hüllen

Dabei hätte die geöffnete Tür zum Straßenlärm der Wienzeile hier durchaus Sinn. Das erste, was man sieht, sind schließlich Motorradketten, in denen sich Herrenanzugteile verfangen haben. Derlei harte Männlichkeits-Konstruktionen seziert Bircken besonders gerne, in Venedig mit einem mit sauberem Schnitt entzweigeschnittenen Rennmotorrad. In Wien schwingt die Yamaha-R6-Maschine auf den Holzkufen eines Schaukelpferds. Zur Eröffnung soll Bircken das Teil sogar gestartet haben. Sehr lustig.

1967 in Köln geboren, zählt sie zur selben starken Bildhauerinnen-Generation wie Monica Bonvicini. In der Secession wirkt Bircken zu sonstigen Auftritten (einmal stellte sie das Präparat ihrer Plazenta aus) verspielt, fast sentimental. Mit vielen lasch herumhängenden Latex-Menschenhüllen etwa, die stark an die Vinyl-Cut-Outs Kiki Kogelniks aus den 1960er-Jahren erinnern. Kraftlos. Trotz Motorengeprotze. Angenehm ist das nicht. „Unruhe“ heißt die Schau.

Alle drei Ausstellungen bis 10. November, Dienstag–Sonntag 10–18 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.