Robert Menasse: „Was kümmert mich das Wörtliche?“

Schriftsteller Robert Menasse.
Schriftsteller Robert Menasse.imago/Emmanuele Contini
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Der Schriftsteller gibt zu, Zitate des Politikers Walter Hallstein erfunden zu haben, verteidigt sein Tun aber.

Die deutsche Zeitung „Die Welt“ wirft dem österreichischen Autor Robert Menasse vor, in seinen Romanen und Reden „Fiktives als Faktisches auszugeben“. In seinem preisgekrönten Brüssel-Roman „Die Hauptstadt“ (Suhrkamp) und in anderen Texten berief sich der Autor zur Untermauerung seiner Forderung nach einer Überwindung der Nationen regelmäßig auf Walter Hallstein (1901–1982), den ersten Kommissionsvorsitzenden des EU-Vorläufers EWG. Er zitierte ihn etwa in einem Gastkommentar für die „FAZ“ im März 2013 mit dem Satz: „Die Abschaffung der Nation ist die europäische Idee!“ Dies sei ein Satz, „den weder der heutige Kommissionspräsident noch die gegenwärtige deutsche Kanzlerin wagen würde auszusprechen. Und doch: Dieser Satz ist die Wahrheit.“ Tatsächlich ist er aber frei erfunden, wie Menasse nun gegenüber der „Welt“ einräumte: „Hallstein sagte das nie so zugespitzt, man müsste lange Passagen zitieren, um diese Position ableiten zu können.“ Der Autor hat noch zwei weitere Hallstein-Zitate konstruiert. Diese wurden immer wieder aufgegriffen und als zuletzt der CSU-Politiker Manfred Weber, Europa-Spitzenkandidat der EVP, eines dieser Zitate aufgriff, meldete sich der Historiker Heinrich August Winkler bei der „Welt“ und machte auf den Fehler aufmerksam. Menasse verteidigt sein Tun. Hallstein habe genau das sagen wollen, was er ihm in den Mund gelegt hat: „Die Quelle ist korrekt. Der Sinn ist korrekt. Die Wahrheit ist belegbar. Was fehlt, ist das Geringste: das Wortwörtliche. Was kümmert mich das Wörtliche, wenn es mir um den Sinn geht?“ (red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2018)

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