Der Schrei des Hahns

(c) Die Presse (Teresa Zötl)
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Mit aphoristischem Furor stürzt sich Michael Fleischhacker auf Parteien, Personen, Ämter und Strukturen der Zweiten Republik – und sehnt ihr Ende herbei. „Politikerbeschimpfung“ – eine Abrechnung.Michael Fleischhacker: "Politikerbeschimpfung"

Wenn Chefredakteure der „Presse“ vom Wort ergriffen werden, ist Aufmerksamkeit angebracht. Schließlich stehen die Männer in einer Tradition. Ernst Molden, Otto Schulmeister, Thomas Chorherr – sie alle haben gewichtige Bücher geschrieben. Der eine über Radetzky und Metternich; der andere über die „Erschöpfte Revolution“ und den „Ernstfall Österreich“; und Letzterer über die „Roten Bürger“, das Jahr 1938, den Pensionsschock und das Lachen.

Zum Lachen ist Michael Fleischhackers Buch nicht. Es trägt den Titel „Politikerbeschimpfung“, und wem das nicht grell genug und auch der Untertitel („Das Ende der Zweiten Republik“) zu harmlos ist, der betrachte das Umschlagbild: Einen entschlossen blickenden jungen Mann zeigt es, in Jeans und tadellos geputzten Schuhen, der vor dem Parlament steht und eine – schwer erkennbare – Mülltonne trägt. Was will er wohl mit ihr entsorgen? Die Gesetzesflut, den Koalitionsverdruss, den Postenschacher, den Übermut der Parteien, die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, ihr bequemes Verhältniswahlrecht und die willfährige Berichterstattung mancher Medien?

Ja, und zwar allesamt.

Michael Fleischhacker ist verdrossen von der Innenansicht der Zweiten Republik, und irgendwie kann man den Mann verstehen: Schließlich hat er das alles jahrelang aus intimer Nähe miterleben und mehr oder weniger freiwillig erdulden müssen. Jetzt hat er genug. Die Republik ist ihm, ohne dass er den Begriff verwendet, ein Augiasstall, der ausgemistet gehört: Statt mit der Mülltonne hätte man ihn auch mit der Keule und dem Löwenfell des Herkules abbilden können. So wie jener in jungen Jahren den Löwen mit bloßen Händen erwürgt haben soll, rückt Fleischhacker den Absonderlichkeiten der österreichischen Konsensdemokratie zu Leibe. Stürzt sich mit aphoristischem Furor und ohne jegliche Rückversicherung auf Parteien, Personen, Ämter, Strukturen. Dass er dabei nichts und niemanden verschont, liegt in der Natur seines Temperaments. Alle bekommen ihre Leviten gelesen.

Haider – intellektueller Obskurant

Die Große Koalition ist ihm „die für eine westliche Demokratie sinnloseste aller Regierungsformen“, Alfred Gusenbauer ein „Partykanzler, der nach acht Jahren des unbestätigten Genieverdachts auf dem Feuer des ,Kronen-Zeitungs‘-Populismus gegrillt“ wurde, Jörg Haider ein „hochintellektueller Obskurant“, Heide Schmidt die „Ikone des linksliberalen Moralismus“, Josef Pröll bringt es zum „Fähnleinführer“ und „sentimentalen Favoriten der Jungen und Wilden“, bei Strache konstatiert er „jugendliche Neonazi-Idiotien“, Wilhelm Molterer ist die „fleischgewordene Unspektakularität“ – und das ist nur eine kleine Auswahl.

Dennoch ist das Buch mehr, als sein Titel suggeriert. Fleischhacker zitiert gerne und kenntnisreich: Peter Handke etwa, dessen „Publikumsbeschimpfung“ ihn zum Titel des Buches inspirierte, den großen Friedrich Heer, Erwin Ringel, Ingeborg Bachmann, Robert Menasse, Rudolf Burger, Franz Schuh, eine staunenswerte Auswahl für den Chef eines großen bürgerlichen Blattes. Über die Schulter aber blickt ihm, auch wenn er ihn nicht zitiert, ein anderer: der große Feind der „Neuen Freien Presse“ – Karl Kraus.

Die Große Koalition? Fleischhacker, ganz krausisch: „Ihr Vorteil besteht darin, dass sie den Bürgern die zeitgleiche Befriedigung ihrer größten politischen Bedürfnisse erfüllt: die Verachtung der Regierenden und die Gewissheit, dass sich nichts ändert.“ Politik in Österreich? „Lust am Halbkranken; das morbide Wellness-Bedürfnis freiwillig bettlägeriger Citoyens. Der Österreicher will enttäuscht werden, das aber mit Aussicht auf Dauer“. Liberalismus? „Der Sammelbegriff für die roten und grünen Linken, die den Geruch der armen Leute nicht vertragen, für die Schwarzen, deren Ehen nicht gehalten haben, und für die Blauen, die dazu in der Lage waren, ihr Bekenntnis zur deutschen Kulturnation in ganzen Sätzen vorzutragen“.

Solche und ähnliche Definitionen sprudeln so mühelos, dass sich der Eindruck aufdrängt, der Autor habe zu lange mit dem „Wörterbuch des Teufels“ von Ambrose Bierce unter dem Kopfpolster geschlafen. Seine Aphorismen mögen ungerecht sein. Unterhaltsam sind sie allemal.

Langsames Bohren harter Bretter

„Politikerbeschimpfung“ ist eine Abrechnung. Manchmal möchte man den Zeigefinger erheben und dem Autor zurufen: So nicht! Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort! Dass „Politik in Österreich keinen menschlichen Zweck hat, sondern nur österreichischen“, hat schon Robert Musil festgestellt. Nur – soll man das Kind mit dem Bade ausschütten? Fleischhacker zitiert ausführlich John Stuart Mill und Max Weber. Ersterem verdanken wir die bemerkenswerte Erkenntnis, dass „das Volk, welches die Macht ausübt, nicht immer dasselbe Volk ist wie das, über welches sie ausgeübt wird“, Letzterem die berühmte Definition: „Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“

Michael Fleischhacker ist die Leidenschaft näher als das Augenmaß. Sine ira, cum studio: „Politikerbeschimpfung“ ist eine psychohygienische Initiative, die stellenweise wie ein Akt der Selbsttherapie wirkt: Man spürt das wunde Herz. Der Autor leidet an einer Politik des geistigen Rückzugs, des Treiben- und Gewährenlassens. Welcher aufgeklärte Kopf würde dieses Leid nicht verstehen?

Ist „Politikerbeschimpfung“ ein gerechtes Buch? Nein. Aber haben sie nicht alle irgendwann mit Leidenschaft begonnen, die Moldens, Schulmeisters und Chorherrs? Und brauchen wir nicht, um den großen Kulturpolitiker Viktor Matejka zu bemühen, heute mehr denn je den Hahn, dessen Krähen die Schlafenden weckt?

Michael Fleischhacker hat sich laut zu Wort gemeldet, und viele wird sein Hahnenschrei irritieren. Wahrscheinlich wird ihn sein Verlag bitten, bald ein weiteres Buch zu verfassen, ein herzerwärmend- versöhnliches, patriotisch- unverbindliches und staatsmännisch- abgeklärtes. Bis dahin sollte er uns als Unruhestifter willkommen sein. „Die Zweite Republik ist tot“, schreibt Fleischhacker, und setzt hinzu: „und das ist gut so.“

Sein Buch ist ein Ärgernis. Und das ist gut so.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2008)

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