Historie der Hausnummern: „Verdächtig liederlich und gefährlich“

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Geschichte der Hausnummern. Die Adressierung begann als Mittel der staatlichen Kontrolle.

Im Jahr 1689 zerstört ein Brand fast alle Häuser der Prager Judenstadt; als die Behörden sie wieder aufbauen, kommt ein Vorschlag auf: Warum nicht die neuen Häuser nummerieren, um die Juden besser kontrollieren zu können? Vier Jahrzehnte später bekommen die Juden wirklich Nummern auf ihre Häuser gepinselt.

Die Hausnummer war einst alles andere als selbstverständlich. Der Wiener Historiker Anton Tantner beschreibt in seinem Buch „Ordnung der Häuser, Beschreibung der Seelen“ (Studien Verlag), wie sie sich in der Habsburgermonarchie durchgesetzt hat. Bei aller historischen Vorsicht fühlt man sich an die Gegenwart erinnert: wenn etwa Überwachungstechniken erst für „verdächtige“ Minderheiten erfunden werden, um bald die Gesamtbevölkerung zu treffen...

Nicht nur die Juden, auch die Protestanten waren unter den Ersten, die verstärkt ins Visier staatlicher Kontrolle gerieten. Schon im Dreißigjährigen Krieg: Da werden etwa in Niederösterreich die Pfarrer von der weltlichen Obrigkeit verpflichtet, Verzeichnisse über die vom katholischen Glauben Abgefallenen zu erstellen. Derlei häuft sich in der Gegenreformation. Pfarrer, lokale Behörden bzw. in Wien die Hausbesitzer müssen Personenlisten abliefern, mit denen ziehen Reformationskommissionen durch die Lande, laden die Protestanten vor, versuchen sie zu bekehren. Säumige Katholiken werden oft gleich mitkontrolliert – in Niederösterreich müssen die Pfarrer ab 1655 jährlich Listen mit den Namen derer schicken, die nicht bei der österlichen Beichte waren oder anders gegen kirchliche Gebote verstießen.

„Seelenkonskription“ im 18.Jahrhundert

Diese Verzeichnisse bleiben sporadisch, erst im 18. Jahrhundert kommt es zur „Seelenkonskription“, einer Volkszählung vor allem aus militärischen und steuerlichen Gründen. Und zur Idee: Bei der Durchführung könnte ein numerisches Adressierungssystem helfen. Erste Versuche gibt es in Wien, schon damals fürchten die Behörden den Widerstand der Bevölkerung und betonen, dass die Hausnummerierung „blos allein zu besserer Ausfindigmachung derer verdächtig liederlich und gefährlich Leuten abgeziellet seye“.

1770 beginnt die bis dann größte Volkszählung in der Geschichte der Habsburgermonarchie, zugleich führt man im Reich flächendeckend die Hausnummerierung ein. Konskriptionskommissare reisen bis in die kleinsten Dörfer, bewehrt mit Pinseln, malen die Nummern auf die Hauswände. Nicht überall geht das friedlich ab, in manchen Orten werden die Nummern heimlich mit „Unflath“ beworfen. In Tirol kommt sogar der „allgemeine Wahn“ auf, nun werde wieder die Leibeigenschaft eingeführt.

Des Grafen „unanständiger Zettel“

Dabei sind die Behörden ohnehin auf Aufklärungsarbeit bedacht: In den Akten liest man nicht nur von der Sorge, dass Daten in die Hände der „Feinde“ fallen und im Krieg benutzt werden könnten, man fürchtet auch, dass sich bei der „boshaften Volcksmenge“ „widrige Begriffe“ bilden, die Hausnummern „ein starkes aufsehen“ erregen könnten. Tatsächlich tun sie das stellenweise – auch bei Adeligen, denen es nicht passt, dass sie wie das „gemeine Volk“ in Tabellen eingetragen werden sollen. Graf Anton von Hoyos etwa begrüßt die Konskriptionskommissare nicht persönlich, sondern mit einem „unanständigen Zettel“ (dessen Inhalt nicht überliefert ist). Massenproteste bleiben aber aus.

Die bessere Kontrolle hatte auch Vorteile für die Untertanen – Maria Theresia nutzte die Informationen für soziale und politische Reformen. Zugleich waren Seelenkonskription und Hausnummern aber wichtige Schritte hin zur bürgerlichen Disziplinargesellschaft – oder, wie Tantner es noch krasser ausdrückt, Ausdruck der „schwarzen Utopie“ eines „militärischen Wohlfahrtsstaates“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2007)

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