„Heilbarer“ Antisemitismus und Unterwanderung der FPÖ auf Puls4

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Michael Köhlmeier moderierte ein wunderbares "Pro und Contra Spezial", in dem Peter Sichrovsky eine muslimische Unterwanderung der FPÖ vorschlug und Arik Brauer über einen Wiener Rassisten sang.

Die Novemberpogrome vor 80 Jahren waren Mittwochabend Anlass für Puls4, das große Thema Antisemitismus zu diskutieren. Geladen war unter anderem der Künstler Arik Brauer, ein Beispiel dafür, wie wertvoll es ist, Zeitzeugen zu hören – vor allem, wenn sie so eindrucksvoll erzählen können. Brauer erinnerte sich, wie er vor 80 Jahren wegen des Pogroms gleich in der Früh vom Lehrer nachhause geschickt wurde. Die verängstigten, jüdischen Schüler sollten jeweils zu zweit gehen und jeder wollte neben Arik sein, weil er nicht auffällig jüdisch aussah ("das war ein großer Vorzug"). Er kam problemlos in die Werkstätte seines Vaters und brach ein Siegel an der Türe. Glücklicherweise kam die Hausmeisterin gerannt, sie mochte keine Juden, versteckte ihn aber schnell im Klo, wo er beobachtete, wie SA-Männer die Werkstätte komplett ausräumten.

Brauer fiel unlängst bei vielen Linken in Ungnade, weil er – ebenfalls in einer TV-Diskussion – sagte, er habe mehr Angst vor dem Antisemitismus muslimischer Einwanderer als vor dem der Rechten in Österreich. Peter Sichrovsky, den alles zu langweilen schien, was nicht (zumindest) kontrovers war, sah dies gestern genauso: Zwar gebe es „ein gravierendes antisemitisches Problem von den Rechten. Aber die tagtägliche Bedrohung kommt leider von den Radikalen aus Ihrer Glaubensgemeinschaft", sagte Sichrovsky zum Imam Tarafa Baghajati. Übrigens ist Sichrovsky selbst Jude - und ehemaliger Generalsekretär der FPÖ. Was er so erklärte: "Ich habe geglaubt, dass man die Partei aus diesem Eck herausholen kann". Was gescheitert sei, 2004 trat er aus.

"Man muss diese Partei einfach unterwandern!"

Der freundliche, sich für vieles entschuldigende Baghajati kämpfte freilich mit dem Thema Antisemitismus von Muslimen – sah aber hierzulande (Gegenbeispiele wären Frankreich oder England) kaum Probleme. Er möchte deshalb Wien, „wo Muslime und Juden friedlich zusammenleben“, als Modell sehen. „Wir wollen nicht Probleme herbeireden, wenn es sie nicht gibt." Er sieht aber vor allem bei den Freiheitlichen die Tendenz, dass die frühere Judenfeindlichkeit nun durch Islamfeindlichkeit ersetzt werde. Sichrovskys Vorschlag: Muslime und Juden sollten (ganz nach seinem Vorbild) die FPÖ unterwandern, damit sie sie von innen ändern.

Es ist nicht so leicht, Rassist zu sein: Ein sehr Wienerisches Lied gab Arik Brauer zum Besten.
Es ist nicht so leicht, Rassist zu sein: Ein sehr Wienerisches Lied gab Arik Brauer zum Besten.(c) Screenshot

Waren es die durchwegs interessanten Gäste, die klugen Fragen von Gastmoderator  Michael Köhlmeier oder die allgemeine Dynamik, die vor allem auch Sichrovsky mit seiner Ungeduld (auch gegenüber der Historikerin Heidemarie Uhl -  man solle bitte nichts sagen, was schon in der Zeitung stand, forderte er) befeuerte? Wohl alles zusammen. Das Ergebnis: Interessantere Diskussionen sieht man selten. Und charmantere. Etwa als Arik Brauer seine Gitarre herausholte und „Reflexionen eines Wiener Rassisten“ gab; ein begeisterter Köhlmeier sang tonlos mit.

„Es gibt keine Judenfrage in Österreich“

Zugleich blieb es ernst: "Der Antisemitismus in Österreich hat keine politische Dimension", sagte Brauer. "Die paar tausend Juden, die es hier gibt, betrifft das persönlich, aber das ist kein politisches Kriterium. Die Juden sind umgebracht worden. Weg, aus. Es gibt keine Judenfrage in Österreich. Es gibt aber Antisemitismus ohne Juden. Das ist das Problem der Antisemiten, das ist natürlich eine Krankheit."

Die Sicht der jungen Juden wurde übrigens durch den Studentenvertreter Bini Guttmann vertreten, der, obwohl er erst etwas gebügelt wirkte, ebenfalls keine Kontroverse scheute. Islamischer Antisemitismus sei "heilbar", sagt er etwa. Die Leute hätten in ihren Herkunftsländern einfach eine Gehirnwäsche erlebt. Er fürchtet also den Antisemitismus der Flüchtlinge nicht. Man müsse weiter Integration betreiben, mehr Kurse ansetzen. Ist Antisemitismus oder überhaupt Hass eine Frage mangelnder Bildung? Auch dazu gab es unterschiedliche Meinungen. Die Zukunft sieht Guttmann  jedenfalls positiv: "Wir haben jetzt als Juden ein relativ gutes Leben in Österreich. Und das in einem Land, das vor 70 Jahren so antisemitisch war, wie es wohl kaum ein anderes Land in der Geschichte der Welt es jemals war. Das zeigt, dass Gesellschaften sich ändern können." Ein hoffnungsvolles Ende.

Die Gäste:

  • Heidemarie Uhl: Historikerin, Österreichische Akademie der Wissenschaften
  • Bini Guttmann: Co-Vorsitzender der Jüdischen HochschülerInnenschaft Österreich
  • Tarafa Baghajati: Imam und Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen
  • Peter Sichrovsky: Ehemaliger Generalsekretär der FPÖ.
  • Arik Brauer: Künstler und Zeitzeuge

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