Das Gesicht einer medialen Debatte

(c) AP /Montage: Die Presse
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Asylwerber. Arigona Zogaj ist nicht die Erste, die durch spektakuläre Aktionen der Abschiebung entgehen will – dennoch wurde sie zum Symbol.

Die Asyldebatten vergangener Tage verliefen meist auf einer abstrakten Ebene – auf jener der Zahlen, Anträge und Fristen. Nur die „Kronen Zeitung“ berichtete manchmal von Asylmissbrauch. Das ist nun ganz anders: Durch Arigona Zogaj hat der bislang namens- und gesichtslose Asylwerber ein Gesicht bekommen. Ein Gesicht, das in Medien großflächig porträtiert wird, ein Bild, das in der kleinformatigen Rezeption fast als Ikone verwendet wird. Fehlt nur noch, dass Wolfgang Fellner „Wir sind Arigona!“ titeln lässt.

Dabei handelt es sich bei weitem nicht um die erste Verzweiflungstat, die von der Abschiebung bedrohte Menschen unternommen haben, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Wiens Flüchtlingshelferin Ute Bock kennt genug solcher Fälle, etwa den jenes Asylwerbers, der drei Mal mit Hungerstreiks gegen seine Abschiebung protestiert hatte – und schwere gesundheitliche Schäden davontrug. Auch Selbstverstümmelungen, Selbstmordversuche und Drohungen kennt man in Vereinen wie der Asylkoordination zur Genüge. Dort bezeichnet man solche Aktionen als „Akte des Widerstands“. Jüngstes Beispiel: Am Montag hatte sich ein 18-jähriger Nigerianer in Steyr auf offener Straße ein Messer in den Bauch gerammt – sein Asylantrag war in zweiter Instanz abgelehnt worden. Vor seiner Tat hatte er Flugzettel verteilt, auf denen sein Fall geschildert ist. Der Mann ist außer Lebensgefahr, die öffentliche Anteilnahme blieb weit unter jener des Falles der Familie Zogaj.

Warum derartige Fälle kein solches Medienecho erfahren? „In Medien herrscht zunehmend ein gewisser Opferzentrismus“, sagt Medienwissenschaftler Jürgen Grimm vom Institut für Publizistik der Universität Wien. Mit einem Opfer könnten emotionale Ressourcen beim Publikum freigelegt werden. Eine junge Frau wecke den Beschützerinstinkt und das Gefühl sozialer Verantwortung – dazu kommt das stets vorhandene Misstrauen gegenüber Politikern. „Hätte man sich eine solche Kampagne am grünen Tisch ausgedacht, hätte man es genau so gemacht“, meint Grimm.

Und: Natürlich komme es der Sache gelegen, wenn eine junge Frau, die äußerlich nicht als Migrantin zu erkennen ist, zu ihrem Symbol werde. Andere Migrantengruppen seien oft mit Stereotypisierungen verbunden, die hinderlich sein können, glaubt Grimm. Das Verhalten der jungen Frau und möglicher Helfer ist manchen Experten schon fast zu professionell: Medienpsychologe Peter Vitouch meint, dass Arigona mit ihrem Videodokument vom legalen Weg abgekommen sei, er bezeichnet es gar als „klassisches Erpresservideo“.

Noch wenig Echo im Internet

Bisher sind es vor allem klassische Medien, die den Arigona-Hype tragen: Bei einer Demonstration in Frankenburg, wo Arigonas Familie mehr als fünf Jahre lebte, gingen laut Polizei zwar 500 Menschen auf die Straße. In Wien sind es aber vor allem die Grünen, die auf der Straße mobilisieren. Im Internet, sonst immer das Medium, in dem Zeitgeschehen schneller und häufig repräsentativ abgebildet wird, halten sich Initiativen noch in Grenzen. So finden sich auf der Videoplattform YouTube gerade einmal vier Beiträge – davon einer doppelt. Und auf der Nickpage einer Freundin von Arigona findet sich ein Slogan, versehen mit der Bitte, den Spruch auf anderen Websites zu publizieren. Seit gestern gibt es mit www.austria4arigona.at eine Website, auf der man Unterstützungserklärungen online abgeben kann. Wie ernst gemeint die Liste der Unterstützer ist, bleibt offen. Einträge mit dem Namen Muhammed Atta aus New York tragen jedenfalls wenig dazu bei.

Dass der Fall derartiges mediales Aufsehen erregt, dafür sorgt auch das Match zwischen „Österreich“ und der „Kronen Zeitung“: Die rührende Geschichte der jungen Kosovarin wird täglich seitenweise thematisiert, in beiden Zeitungen flankiert von Aufrufen, für das Mädchen und ihre Familie eine humanitäre Lösung zu finden. „Österreich“-Herausgeber Wolfgang Fellner setzt sich beinahe täglich an die Tastatur, um Stimmung zu erzeugen – für das eigene Produkt. Die „Kronen Zeitung“, die bei Asylwerbern früher häufig stramm auf Kurs des jeweiligen Innenministers lag, wollte da offenbar nicht nachstehen, nur in den jüngsten Ausgaben kommt wieder Misstrauen gegen die neuen Verbündeten wie die Grünen durch. Und in den elektronischen Medien war es vor allem Ö3, das im konkreten Fall mit lebendigen Zitaten von Nachbarn und Schulfreunden des Mädchens besser emotionalisieren kann. Die Landesstudios berichten über diesen und vergleichbare Fälle in ihren Bundesländern auch deutlich ausführlicher als etwa Wiener Medien über Abschiebungen in Wien: Dort nimmt selten jemand lautstark für abgelehnte Asylbewerber Stellung.

Ob Arigona Zogaj mit ihrem Vorgehen auch Nachahmer finden wird, hängt laut Medienwissenschaftler Grimm stark davon ab, wie das Verfahren ausgeht. „Erfolgreiches Handeln wird nachgeahmt“, meint er. Sollte die junge Frau in Österreich bleiben dürfen oder sogar ihre Familie wieder zurückkehren, würden andere Asylwerber in ähnlichen Situationen „mit Sicherheit“ auch so vorgehen. Fraglich ist allerdings, ob etwaige Nachahmer ebenso starken Rückhalt fänden wie Arigona Zogaj, die Galionsfigur jener Debatte, in der Asyl-, Einwanderungs- und Integrationspolitik vermischt werden wie selten zuvor.

AUF EINEN BLICK

Abschiebung: Die Familie von Arigona Zogaj wurde Ende September in den Kosovo abgeschoben. Die junge Frau tauchte unter und meldete sich aus einem Versteck zunächst per Brief, dann mit einer Videobotschaft, in der sie mit Selbstmord drohte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2007)

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