Marginalien: Vorwärts zum christlichen Finanzsystem!

Zinsen sind böse – sagt eine ökumenische, aber nicht unbedingt ökonomische Initiative.

An der Frankfurter Paulskirche und der Villacher St.Ruprechtskirche werden heute und morgen anlässlich des Reformationstages 9,5 Thesen angeschlagen. 9,5 – das soll an Luthers 95 Thesen erinnern, aber stellt doch nicht denselben Anspruch auf Weltbedeutung. Oder vielleicht doch? Die von vier Dortmunder Wissenschaftlern – evangelisch und katholisch – erarbeiteten „Thesen gegen Wachstumszwang und für ein christliches Finanzsystem“ haben ein radikales Programm: Weg mit Zins und Zinseszins!

Das ist kühn. Aber gleichzeitig auch irgendwie konventionell: Das Zinsverbot war ja sehr lange Bestandteil der christlichen Sittengesetze. Obwohl längst nicht mehr Bestandteil ziviler Praxis und Rechtslage, hat der Vatikan es erst 1822 ohne klare Begründung fallen gelassen. Aber auch Martin Luther war Feind von Zins und Geldverleihern. Calvin ließ zwar Zinsen bis fünf Prozent gelten, verurteilte aber das berufsmäßige Kreditgeben. Bankiers mussten Genf verlassen und waren bei den niederländischen Calvinisten aus der Kirchengemeinde ausgeschlossen. Und seitdem ist die Forderung nach Zinsverbot eine oft gesehene Randerscheinung der Kapitalismuskritik.

Dabei sind die biblischen Quellen für ein Zinsverbot dürftig. Berühmt ist der Satz aus dem 5. Buch Mose: „Du sollst von deinem Bruder nicht Zinsen nehmen...“ Die Initiatoren der 9,5 Thesen führen diesen Satz als „Grundgebot der biblischen Ökonomie“ an. Sie haben zwar „und deiner Schwester“ hinzufügt, aber den in der Bibel darauffolgenden Satz weggelassen: „Von den Fremden magst du Zinsen nehmen.“

Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel

Allerdings ist schon von den Kirchenvätern an ein stark wirtschaftsskeptischer Zug in der Theologie beobachtbar. Aus zwei Gründen: Erstens steht Gewinnstreben im Verdacht, die Seele zu verderben, denn „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Mt. 6,24). Und zweitens war man lange der Ansicht, dass alles Handeln außerhalb von Landwirtschaft und Handwerk ein Nullsummenspiel sei: „Si unus non perdit, alter non acquirit“, sagt Augustinus (Was einer nicht verliert, kann der andere nicht gewinnen).

Letzteres ist mittlerweile genauso widerlegt wie das geozentrische Weltbild. In den 9,5 Thesen kommt es trotzdem vor: „Die Vermögenszuwächse der einen müssen von den anderen erwirtschaftet werden. Armut und Reichtum nehmen durch den Zins gleichermaßen zu.“ In Wirklichkeit teilen sich Gläubiger und Schuldner die Früchte, die aus dem Kapitaleinsatz kommen. Wenn sich jemand Geld borgt, um damit Werkzeug und Leder zu kaufen, daraus Schuhe erzeugt und sie verkauft, dann führt das also durchaus nicht zu höherer Armut auf der einen und höherem Reichtum auf der anderen Seite.

Spannend zu diskutieren wäre vieles. Etwa, wie groß der Konnex zwischen der Möglichkeit, Kredite aufzunehmen, und dem Erwachen von Gier wirklich ist. Oder, wie sehr der Druck, Zinsen zu verdienen, zu einer Management-Unkultur führt. Aber das ist eher ein Problem von Fremdkapital überhaupt als eines des Zinses. Denn auch dort, wo Zinsen verboten sind, entstehen sofort Umgehungskonstruktionen. Denn dass man ohne Gegenleistung an das Geld anderer Leute kommt, ist eben selten. Die 9,5 Thesen – eigentlich eine einzige: „Zinsen gehören abgeschafft“ – sind aber leider zu platt, um als Diskussionsgrundlage zu dienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2009)

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