Claus Peymann: „Ich habe mein Königreich verloren“

Clemens Fabry
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Der ehemalige Burgtheater-Direktor Claus Peymann spricht im Interview mit der "Presse" über seine Selbstzweifel, den Augenblick und den Tod.

Claus Peymann hätte am Akademietheater „Die Stühle“ von Eugène Ionesco inszenieren sollen. Nun ist er erkrankt. Dabei waren die Proben schon voll im Gange. Die Regie übernimmt nun Leander Haußmann. Das Gespräch fand unmittelbar, bevor er krank wurde, statt.

Die Presse: Sie inszenieren am Akademietheater „Die Stühle“ von Eugène Ionesco. Kein Autor, den ich mit Ihnen verbunden hätte.

Claus Peymann:
Ich auch nicht. „Die absurde Welt ist die einzig wahre Welt“, lässt Thomas Bernhard in seinem Stück „Holzfällen“ den fiktiven Burgschauspieler sagen. Wer hat je für möglich gehalten, dass es in den USA einen demokratisch gewählten Präsidenten geben würde, der ein Verrückter, ein zweiter Nero ist? Wer hätte je gedacht, dass der große Gedanke „Europa“ zerfällt, dass sich die Weltmächte so unglaublich verhalten würden? Man hat den Eindruck, das Mittelalter kehrt zurück und beendet die letzten 50 Jahre, die wir zurecht als zweite Renaissance begriffen haben. Gleichzeitig erlebe ich das kolossale Defizit, dass wir praktisch keine zeitgenössische deutsche Literatur haben, die sich unmittelbar mit dem jetzigen Zustand der Welt befasst. Wo ist die Literatur, die das Unglaubliche, das nie für möglich Gehaltene in Theaterliteratur umsetzt? Wir haben sie nicht.

Und warum?

Die junge Literatur deutscher Sprache befasst sich nur mit sich. Das heißt, die Autoren befassen sich mit ihren eigenen kleinen Problemchen, mit ihrer Sexualität, mit ihrer überstarken Mutter und was weiß ich. Aber diese Individualprobleme fassen ja den ganzen Schrecken unserer Zeit nicht. Vielleicht aber die Absurdität. Nicht Bertolt Brecht und Heiner Müller, sondern Ionesco und Samuel Beckett gehören derzeit zu den meist gespielten Autoren. Bei beiden wird die völlige Sinnlosigkeit zum Thema. Daher vielleicht meine instinktive Zuwendung zu diesen Autoren, zu „Die Stühle“. Maria Happel und Michael Maertens: für diese "Farce" das Traumpaar! Da ist die Liebe, der Alltag, die Phantasie einer starken Frau und eines starken Mannes. Er - ein "kleiner Angestellter" - hat das Konzept zur Rettung der Welt! Freude - Spiel - Träume - Ausflüchte - Hilferufe - Am Ende gehen beide gemeinsam in den Tod: Es bleibt Sprachlosigkeit, Resignation. Deshalb mache ich das Stück. Ich habe das Gefühl, es ist ein Weltspiel wie „Warten auf Godot“ und „Endspiel“, das sind die Stücke der Stunde.

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