Die Angst vor Virginia Woolf ist begrenzt

Ein Ehepaar, das Konflikte selbst vor Besuchern nicht scheut: Bibiana Beglau als Martha und Norman Hacker als George.
Ein Ehepaar, das Konflikte selbst vor Besuchern nicht scheut: Bibiana Beglau als Martha und Norman Hacker als George. (c) Andreas Pohlmann
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Martin Kušejs Inszenierung des Klassikers von Edward Albee überzeugt trotz Starbesetzung nicht recht. Die vier Darsteller werden in ein allzu enges Korsett gezwängt.

Mit seiner Inszenierung von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ eröffnete Martin Kušej vor fünf Jahren die Spielzeit des von ihm geleiteten Residenztheaters in München. Am Samstag zeigte er als neuer Direktor des Burgtheaters in Wien die Übernahme dieser Aufführung als erste eigene Regiearbeit der Saison 2019/20. (Er hat Ulrich Rasche am großen Haus den Vortritt gelassen, am Donnerstag, mit den „Bakchen“.) Der Hit von Edward Albee über nächtliche Exzesse zweier Ehepaare wurde damals in München durchwachsen rezipiert. Der Abend dringe nicht bis zum Herzen des Stückes vor, so die „Süddeutsche Zeitung“ über Kušejs Regie. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ war gar von „lahmen Enten“ die Rede. Zum Teil große Oper mit abrupten Tempowechseln sah die „Neue Zürcher Zeitung“, doch habe es an echter Dynamik zwischen den Protagonisten gefehlt.

Nun also Wien. Seit September 2014 hatten Bibiana Beglau und Norman Hacker in den Rollen als älteres sowie Nora Buzalka und Johannes Zirner als jüngeres Paar öfter Gelegenheit, wenige Momente der Liebe und ausgiebige Horrorszenen einer Ehe zu zelebrieren. Wie hat sich der Reifeprozess ausgewirkt? Man sieht vier auf ihre Art souveräne Stars, traumhaft sichere. Allein, zufrieden mit der Albee-Abrechnung darf man dennoch nicht sein. Dazu ist diese Inszenierung allzu schematisch. Sie legt den Darstellern ein steifes Korsett an und engt den Spielraum ein. Wo bleiben die Nuancen? Die gibt es, aber nur vereinzelt, etwa wenn Sätze aggressiv sind und zugleich die Körper Zärtlichkeit andeuten – oder vice versa.

Strenge illustriert das Bühnenbild von Jessica Rockstroh. Während in Albees Text all die Gemeinheiten zumindest phasenweise hinter Konventionen verborgen bleiben, werden sie hier meist verstärkt vorgeführt, mit Symbolen so schwarz und weiß wie das Set. Der Salon von Martha und George ist schmal, leer und erhöht. Wie ein Laufsteg erstreckt er sich über die ganze Breite und wird hinten von einer hellen Wand begrenzt. Die Fläche davor, darunter, ist mit Flaschen und zerbrochenen Gläsern übersät. Merke: In diesem Haushalt herrscht Kampftrinken. Als Requisiten sind oben nur Alkoholika erlaubt. Reichlich. Gläser und Flaschen werden stets beiläufig vorn nach unten entsorgt.

Apathisch nach dem Exorzismus

Strikt sind die Auftritte segmentiert: Zwischen den Szenen herrscht kurz totale Dunkelheit. Wenn es hell wird, sieht man neue Konstellationen – saufend, punktuell höflich, exzessiv streitend, stilisiert kopulierend. Die Akte werden groß in Leuchtschrift angekündigt: „Fun and Games“, „Walpurgisnacht“ und „The Exorcism“. Das Austreiben der Teufel endet nach zwei pausenlosen Stunden in Stasis, die man als Waffenstillstand oder als zaghafte Zärtlichkeit deuten könnte: Das ältere Paar im Mittelpunkt. Sie sitzt an der Wand, er steht ebenso apathisch daneben. Allein zu zweit. Dass sie kein Kind haben, anders als gegenüber den kinderlosen Gästen behauptet, ist ausgefochten. Werden sie vor der Autorin Woolf weiter Angst haben? Vorm bösen Wolf? Wer weiß.

Beglau spielt hier Martha, die älteste im Quartett. Sie ist die Tochter des patriarchalischen Präsidenten eines US-Colleges und hat vom Vater offenbar die Dominanz geerbt. Ihrem Mann begegnet sie mit Verachtung, besonders vor Zeugen. Tatsächlich: große Oper von Beglau. Was für eine Präsenz! In ihren Augen hat der von Hacker gespielte George versagt. Sie hätte so gern gehabt, dass er eine steile Karriere mache wie Papa. Doch George entspricht kaum dem amerikanischen Traum vom rasanten Aufstieg. Er leitet nicht einmal das Geschichteinstitut. Hacker spielt diesen auf den ersten Blick unterlegenen Ehemann recht raffiniert. Martha mag auf den ersten Blick aggressiver sein, doch George erreicht seine Ziele durch subtilere Methoden. Ein Manipulator.

Zirner ist als eben ans College gekommener Biologieprofessor Nick zu sehen. Er versagt, fast schon im Morgengrauen, beim Beischlaf mit der fordernden Martha. Buzalka spielt seine scheinbar naive Frau Honey, eine graue Maus. Dass diese ihre Beschränkungen mühelos ablegen kann, deutet allein schon ihr Cognac-Konsum an. Die Tochter eines Predigers hat viel Geld in diese Zweckehe eingebracht. Das dürfte auch der Kitt sein, der Honey und Nick aneinanderfesselt. Bei ihnen entwickelt sich der Ehekrieg mit anderen Mitteln, vielleicht mit befreiendem Ende. Die beiden spielen ihre Parts als Gäste naturgemäß über weite Strecken mit etwas mehr Zurückhaltung. Sie ergänzen ideal die älteren Ungeheuer, die sich in ihren Kampfspielen doch auch so sehr nach Harmonie sehnen.

Fazit: Kušej hat in der ersten Woche seiner ersten Saison in Wien angedeutet, was uns im Burgtheater erwartet. Alte und neuere Klassiker, für die Bedürfnisse herrschender Moden zurechtgebogen, und brandaktuell Internationales (die „Presse“ war am Freitag von Wajdi Mouawads „Vögel“ im Akademietheater begeistert). Man darf auf interessante Zeiten hoffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2019)

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