Pop

Dieser Chickasaw singt mit Zigarettenspitz im Mund


Der Texaner Micah P. Hinson, Lichtgestalt aus dem Schattenkabinett des Alternative Country, begeisterte im Wiener Chelsea.

Normcore ist etwas anderes. Der Texaner Micah P. Hinson, begnadet durch eine der signifikantesten Stimmen der Countrygeschichte, ist keinesfalls jemand, der mit den modischen Zeichen, die er setzt, in der Masse verschwinden möchte. Der Mann singt konsequent mit Zigarettenspitz im Mundwinkel, lässt Ringe an Ohr und Fingern glitzern. Der Mann ist Angehöriger des Indianervolks der Chickasaw, kleidet sich aber eher wie ein Cowboy. Die Frisur ist eine individuelle Variation eines steinalten Chickasaw-Haarschnitts. Am meisten stach indes die Gürtelschnalle ins Auge. So etwas hat man hierzulande noch nicht gesehen. Das Teil zeigte eine Replika des „Letzten Abendmahls“ nach Da Vinci.


„This machine kills fascists.“ Nicht nur visuell ist Hinson eine Herausforderung, auch seine Gedankenwelt sprengt gängige Vorstellungen. Das Anarchische blüht darin genauso wie das Reaktionäre. Dass er einmal gesagt hat, dass Präsident Obama den amerikanischen Traum gemeuchelt hätte, hat ihm in Europa nicht gutgetan. Im Gespräch mit der „Presse“ stellt er allerdings klar, dass es bloß ein willkürlich herausgepickter Teil einer langen Suada gegen US-Präsidenten jeder Couleur war. Den aktuellen Präsidenten mag er nicht einmal beim Namen nennen, so zuwider ist er ihm. Alles andere wäre bizarr, prangte doch auf Hinsons Gitarre Woody Guthries altes Diktum „This machine kills fascists“. Man sieht schon, allein mit seinem Erscheinen flogen die Messages durch das knallvolle Chelsea. Mit seinen Songs steigerte er die Informationsdichte. Er begann mit diesem von delikatem Bedauern durchzogenen Song „On The Way Home (To Abilene)“. Im texanischen Kaff Abilene ist Hinson aufgewachsen, als Spross eines strikten Professors an der dortigen christlichen Universität. Hinson ließ sich als junger Mensch aus der strengen Erziehung und der vorgegebenen Ordnung fallen. Er nahm Drogen, wurde Drifter, Schmerzpatient und Songwriter. Die Karriere brennt trotz oder gerade wegen der Qualität seiner Songs immer noch auf recht kleiner Flamme.


Rau und sehr herzlich. Zuletzt gastierte er vor zehn Jahren in Wien. Mittlerweile hat er zwei Kinder, ein drittes kommt im Mai. Dem familiären Frieden steht ein schwelender Konflikt mit seinem Label entgegen. Wenn alles rundgehen würde, müsste man wohl Angst um seine Kreativität haben. Hinson ist am besten, wenn er sich an der feindlichen Welt reibt. An diesem Abend etwa, wenn er Auszüge aus seiner Oper „The Holy Strangers“ gab, die sein Label zur Erbitterung Hinsons auf ein einzelnes Album zusammengekürzt hat. Er würde sich mit solchen epischen Werken selbst sabotieren, lautete die Begründung für die editorische Barbarei. Egal, live brachte er Stücke wie „Oh, Spaceman“ in lichte Sphären. Rau und sehr herzlich durchmaß Hinson die vielen Phasen seiner Karriere. Am Ende stand eine Coverversion von John Denvers „This Old Guitar“, die er als Kind bei seinem Vater gehört hat. „Er war ein Arschloch und hat mir die Gene weitergegeben, selbst auch eines zu sein“, sagte er, als er die schöne Melodie aus den Fingern ließ. Die besungene alte Gitarre kitzelt entlegenste Gefühle heraus, sang er. Und sie verleitet sogar zu mancher Intimität: „It opened up the space for us to be.“ Beim Singen dieser schönen Zeile wackelte der Zigarettenspitz in seinem Mundwinkel bedrohlich. Gefallen ist er aber nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2019)

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