Wie in den Seventies

Ein Londoner auf dem Pfad der schwarzen Panther

Michael Kiwanuka: „Kiwanuka“ (Polydor)
Michael Kiwanuka: „Kiwanuka“ (Polydor)
  • Drucken

Auf Michael Kiwanukas neuem Album hört man in einem Interludium die Stimme des Black-Panther-Aktivisten Fred Hampton. Auch damit dockt der 32-jährige Londoner an die Tradition des – oft politisch engagierten – Souls der Siebzigerjahre an.

Er ist retro und steht dazu: Der 32-jährige, in Nord-London aufgewachsene Michael Kiwanuka kann im Grunde nur mit der Musik der Siebzigerjahre etwas anfangen. Die zeitgenössische Böllerästhetik des Dancefloor-Künstlers Labrinth, der mit ihm arbeiten wollte, verschreckte ihn; für Rapper Chipmunk spielte er bei einigen Sessions Gitarre, konnte aber nicht wirklich an dessen Sounds andocken. Statt auf die in Großbritannien höchst populären Dizzee Rascal und Usher abzufahren, sprachen ihn einzig Siebzigerjahre-Helden wie Bill Withers, Donny Hathaway, Roberta Flack und Marvin Gaye wirklich an. Neben Bob Dylan, John Martyn und Led Zeppelin, wohlgemerkt.

Inhaltlich ist Kiwanukas selbstbewusst „Kiwanuka“ betiteltes drittes Opus eine opulente Fortsetzung seines alten Songs „Black Man in a White World“. Er hat einen sehr würdigen, politisch unterfütterten Songzyklus entworfen, den er mit gesprochenen Interludien präsentiert (u. a. sind Schriftsteller James Baldwin und der von der Polizei im Schlaf erschossene Black-Panther-Aktivist Fred Hampton zu hören). Das ist der Darreichungsform, die einst Marvin Gaye für sein epochales „What's Going On“ gewählt hat, sehr ähnlich.

Produziert wurde das aktuelle Werk einmal mehr von Inflo und Danger Mouse. Ihre subtilen Arrangements erinnern an die besten Arbeiten von David Axelrod, der in den frühen Siebzigern die Musik von Lou Rawls, Cannonball Adderley und David McCallum veredelt hat. Ganz nach Axelrod-Sound, der übrigens exzessiv im Hip-Hop gesampelt wurde, klingt das soulige „Living in Denial“: Es hypnotisiert geradezu mit seinen entrückten, halligen Bläsersätzen, seinem verträumten E-Piano-Groove und seinen introvertierten Beats. Wenn Kiwanuka „And you try and try falling in and out of love“ singt, dann lehnt er sich an ein pointiertes Arrangement. Dieses bildet einen wunderbaren Kontrapunkt zum Vortrag des Sängers. Mit sehr viel Soul in der Stimme erzählt er von Situationen, die von emotionaler Indifferenz geprägt sind. So selbstbewusst hat Kiwanuka noch nie über Zweifel gesungen. Auch die Ballade „Piano Joint (This Kind of Love)“ klingt wie ein zukünftiger Klassiker. Aufgenommen wurde sie in den New Yorker Electric Lady Studios, wo einst Stevie Wonder einige seiner bekanntesten Songs eingespielt hatte, vielleicht hatte das Kiwanukas Stimme ein besonderes Charisma verliehen? Für „I've Been Dazed“ wurde ein Gospelchor engagiert, und um die Fühlung zum Transzendentalen besser nachvollziehbar zu machen, wurden gegen Ende eifrig die Hall-, Echo- und Delay-Tasten bemüht.

Wüstes Gitarrensolo in „My Hero“

Am schwächsten ist das erste Stück, „You Ain't the Problem“, ein uneben gebautes, zu epigonales Lied, in dem sich Kiwanuka selbst Mut zusingt. Weit besser klingt er in einer Psychedelic-Soul-Nummer wie „My Hero“, bei der mittels unwiderstehlicher Melodie, quietschigen Riffs und wüsten Gitarrensolos hoher Liebreiz entzündet wird. Insgesamt ist dieses Album ein sogenannter Slowburner, seine Pracht zeigt sich erst nach einigen Hördurchgängen. Dann aber umso intensiver.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.