Rosanne Cash: Feminismus aus Tennessee

(C) Blue Note
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Cash ringt auf „She Remembers Everything“, das auf dem Jazzlabel Blue Note erschienen ist, mit dem Realitätsprinzip und dem männlichen Blick auf die Welt.

Mit sanften Gitarren und schläfrigem Bass beginnt Rosanne Cashs erstes Album seit fünf Jahren. Die verträumte Anmutung könnte über den brisanten Inhalt hinwegtäuschen. Im Opener „The Only Thing Worth Fighting For“ hat die Protagonistin schon Schwierigkeiten, überhaupt aus dem Bett zu kommen. „Waking up is harder than it seems, wandering through these empty rooms of dusty books and quiet dreams“, heißt es da. Eine Beziehung ist zerbrochen. Jetzt gilt es, die Scherben aufzukehren und nicht vollends die Lust am Leben zu verlieren.

Ist „She Remembers Everything“ ein Konzeptalbum im Stil ihres 2003 verstorbenen Vaters? Ja und nein. Cash wollte ein thematisch stringentes Album mit durchgehendem Thema aufnehmen, aber am Ende haben die Lieder nicht einmal die weibliche Perspektive gemeinsam, denn in „8 Gods Of Harlem“ teilt sie das Mikrofon und die Autorenschaft mit Elvis Costello und Kris Kristofferson. Es geht um eine Schießerei an einer Schule, die aus drei Perspektiven erzählt wird. Cash ist seit Jahrzehnten in der Anti-Gun-Violence-Bewegung engagiert. Überhaupt stöhnt sie unter dem Amerika des Donald Trump: „Es ist schockierend zu sehen, wo Amerika heute steht“, sagte sie jüngst. Sie verzichtet aber auf plumpes Trump-Bashing. Stattdessen schrieb sie ihre neuen Lieder schlicht von dem moralischen Niveau ausgehend, das sie sich selbst erkämpft hat. Das eigene Leben war schließlich auch nicht das leichteste. Sich als älteste Tochter der Country-Ikone Johnny Cash ins selbe Genre zu wagen, war ein Risiko. Aber es befeuerte sie, dem traditionellen Country einen neuen Twist zu geben. Inspiriert wurde sie dabei von Joni Mitchell, Buffalo Springfield und sogar der britischen Punk-Bewegung.

Eine Gehirnoperation stürzte Rosanne Cash in eine Lebenskrise, die sich auf die beiden seither entstandenen Alben hörbar auswirkte. Auf „The River & The Thread“ (2014) spürte sie der Idee des amerikanischen Südens im Sinne von Schriftstellern wie William Faulkner und Walker Percy nach, auf „She Remembers Everything“ geht es nun um die weibliche Sicht der Dinge. In Cashs Worten um „Gothic Feminism with a capital F“. Die Affäre um den von Trump trotz Verdachts auf sexuelle Belästigung bestellten Höchstrichter Kavanaugh wühlte Cash auf, sie distanzierte sich vom „männlichen Narrativ“, schwärmte von der weiblichen Sicht, die von großer Schönheit und Kraft sei. Noch strikter aus weiblicher Perspektive singt sie nun über Themen wie Traum und Verlust sowie die Probleme, Beziehungen über lange Zeit aufrecht zu halten. Es geht um all die von der Realität zerschmetterten Träume, aber auch um die kleinen Siege . . .

Das Schlusslied ist von besonders würdiger Anmutung. Es ist das von Cash mitkomponierte, aber zunächst von Kollegin Lera Lynn in der polarisierenden zweiten Staffel von „True Detective“ berühmt gemachte „My Least Favorite Life“. Wo Lynn auf den Glamour des Grusels setzte, verwandelt Cash diese Ballade in einen grimmigen Walzer mit osteuropäischem Flair. Ein idealer Schlusspunkt für eine Liedersammlung, die von Ernüchterung, aber keineswegs von Resignation geprägt ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2019)

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