The 1975: Modern wie das erste graue Haar (mit 29 Jahren)

(C) Polydor
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The 1975 spielen im Grunde Post-Punk – und sind nicht so sehr aus der Zeit gefallen, wie das klingen mag.

Eine (halbwegs) junge Indie-Band? Noch dazu eine erfolgreiche? Ja, gibt's denn das? – Gibt es. Sie heißt The 1975, benannt nach einem gekritzelten Datum, das ihr Sänger Matthew Healy mit 19 auf einem Flohmarkt gefunden hat. Heute ist er 29 und reflektiert seine eigene Existenz in einem Song des neuen, dritten 1975-Albums mit melancholischer Ironie: „I was 25 and afraid to go outside: A millennial that baby-boomers like.“

Das könnte auch den Song gut beschreiben: Er heißt „Give Yourself A Try“, ist bei Weitem der schnellste auf dem Album und erinnert an den nervösen, frisch elektrisierten New-Wave-Pop der frühen Achtziger. Jung sozusagen. Trotzdem findet Healy darin ein graues Haar – in den eigenen Locken – und fragt sich selbst (und die Hörer?): Was würdest du deinem jüngeren Selbst sagen?

Ja, was denn? Im Song „Love It If We Made It“ singt Healy: „We're just left to decay. Modernity has failed us.“ Diese ruppige Resignation hat Tradition im Britpop – The 1975 sind aus Manchester! –, wer will, kann auch ein Quäntchen Brexit-Unbehagen heraushören, dazu kommt das Gefühl, einer aussterbenden Ästhetik anzugehören. Im Text stellt Healy seine eigene Verzagtheit gegen das Selbstbewusstsein des Rap: „Thank you, Kanye, very cool!“

„Die Kultur ist schuld“

So viel Trotz findet sich auf dem restlichen Album nicht. Dafür viel Traurigkeit. „Irony is okay, I suppose“, singt Healy zu subtil zersägtem Wohnzimmer-Jazz, „Culture is to blame. You try and mask your pain in the most postmodern way.“ Klingt wie ein weiteres Mal gebrochene Post-Punk-Ideologie, es geht aber um die Täuschungen in einer Liebesbeziehung! Das ist Kultur.

Für ältere Post-Punk-Ohren ungewohnt ist wohl, dass Healy in den meisten Songs seine Stimme der heute im Pop allgegenwärtigen Autotune-Bearbeitung unterzieht. In „Tootimetootimetootime“ etwa, das aus diesem Effekt eine besondere Geschmeidigkeit gewinnt, eine Biegsamkeit, die zum Inhalt passt: Der Sänger grübelt, ob er sich durch allzu häufiges Anrufen der Belästigung schuldig gemacht hat, nicht zufällig kann man aus dem Songtitel „metoo“ lesen.

Natürlich fehlt die schon im Albumtitel („A Brief Inquiry Into Online Relationships“) angesprochene Auseinandersetzung mit den virtuellen Räumen nicht, im gesprochenen „The Man Who Married A Robot“ ist sie vielleicht etwas konventionell, dafür mündet das Stück in ein schwelgerisches „Love Theme“. Die Einsamkeit bleibt, und sie ist nicht (nur) die böse Feindin. „At the best of times I'm lonely in my mind“, schwärmt Healy in „I Couldn't Be More In Love“, einer Ballade, die leicht, aber penetrant an die Weltumarmungssongs Michael Jacksons erinnert, Glöckchen und alles, bevor eine Späthippie-Gitarre ihren meditativen Senf dazugibt. Ja, die Popgeschichte lastet schwer auf diesen schmalen Schultern . . .

Wie kann, wie soll das alles ausgehen? Wie ein später, später Houellebecq-Roman, in dem das Glückshormon doch noch gewinnt, wenn auch auf befremdliche Weise. Die letzten, von beschwichtigendem Gesäusel umhüllten Worte des Albums lauten: „If you can't survive; just try. And I always wanna die, sometimes.“ Was für eine Idylle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2019)

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