Zu schnell unterm Messer: Online eine zweite Meinung einholen

Online kann man nun auch in Österreich eine medizinische Zweitmeinung einholen.
Online kann man nun auch in Österreich eine medizinische Zweitmeinung einholen. (c) Photothek via Getty Images (Inga Kjer)
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Neu in Österreich ist die Möglichkeit einer telemedizinischen Zweitmeinung. Sie kann Fehldiagnosen und nicht notwendige Operationen reduzieren.

Operation misslungen? Dabei wäre der Eingriff gar nicht notwendig gewesen. Aber der Arzt hat halt gemeint und Chirurgen sind zum Schneiden da. Wer dann noch eine Zusatzversicherung hat, kommt vielleicht noch schneller (unnötig) unters Messer. Jetzt gibt es auch in Österreich eine diskrete Möglichkeit, sich online via elektronischer Plattform eine medizinische Zweitmeinung einzuholen.

Patientenanwalt Gerald Bachinger begrüßt die neue Einrichtung. „Natürlich ist nicht jede Operation notwendig. Manchmal wird dazu geraten, weil so ein Eingriff eben lukrativ für den Operateur oder ökonomisch sinnvoll für das Krankenhaus ist.“

Totgeschwiegen. Die Überversorgung bei Operationen ist in Deutschland sehr intensiv untersucht, bei uns in Österreich wird das Thema leider mehr oder weniger totgeschwiegen. Obwohl es hierzulande nicht wesentlich anders sein wird als in Deutschland, wo in manchen Regionen wesentlich öfter operiert wird als in anderen, und zwar ohne medizinisch nachvollziehbare Begründung.

Es gibt auch in Österreich eine Überversorgung bei chirurgischen Eingriffen. Bachinger: „Anreiz für nicht notwendige Operationen kann neben dem Finanziellen auch die Reputation sein. Ein Arzt, der viel operiert, ist auch in der Kollegenschaft angesehener.“ Unnötige Operationen aber stellten schließlich nicht nur ein Risiko dar, es werde auch unnötig viel Geld ausgegeben, etwa auch für Medikamente und bildgebende Untersuchungen.

In Deutschland ist im Patientenrechtegesetz festgelegt, dass Patienten ein Recht auf eine medizinische Zweitmeinung haben. In Österreich ist dies (noch) nicht gesetzlich verankert. „Leider“, sagt Bachinger. Umso wichtiger sei, dass es nun eine niederschwellige Möglichkeit einer unabhängigen telemedizinischen Zweitmeinung gebe. „Es ist ein wichtiger Schritt nach vorne und mit Professor Wolner haben wir einen Spezialisten auf der Plattform.“

Ernst Wolner, international anerkannter Herz-Thorax-Chirurg und Pionier der Kunstherzforschung, hat die Plattform „Doctoritas“ gegründet und sich weitere Experten an Bord geholt. „Es ist klar nachweisbar, dass durch eine Zweitmeinung Fehlbehandlungen und unnötige medizinische Maßnahmen insgesamt reduziert werden können“, betont Wolner. Dabei darf der Arzt, der die Zweitmeinung abgibt, auf keinen Fall der behandelnde Arzt sein. So kann eine Operation aus finanziellen oder anderen nicht medizinischen Gründen quasi ausgeschlossen werden.


Mehr Sicherheit bei Diagnose. Aber es geht bei der Zweitmeinung nicht nur um Operationen. Auch wenn ein Patient mehr Sicherheit bei seiner Diagnose oder Therapie haben möchte, kann eine Zweitmeinung etwaige Bedenken beseitigen. Ein Patient könnte beispielsweise wissen wollen, ob sein Diabetes oder Bluthochdruck wirklich bestens behandelt wird, ob es da nicht noch etwas anderes gebe. Eine Tochter könnte wissen wollen, ob für ihren 80-jährigen Vater, dessen Arzt gemeint hat, bei diesem oder jenem seiner Leiden könne man nichts mehr machen, damit müsse er leben, nicht doch noch eine Behandlung möglich sei. Eine Frau könnte anfragen, ob man die quälenden Polyneuropathie-Schmerzen nicht doch ein wenig lindern könne. Ein anderer will sichergehen, ob eine Herzkatheter-Untersuchung denn wirklich erforderlich ist. In Deutschland etwa verlangen einige Versicherer vor einer Herzkatheter-Untersuchung oder Bypass-Operation das Einholen einer Zweitmeinung.

Viele Irrtümer. Millionen von Patienten, auch in den gut entwickelten Gesundheitssystemen, erhalten jährlich eine Fehldiagnose. „Diese Zweitmeinung soll aber keinesfalls eine Interferenz mit der vom Haus- oder Wahlarzt empfohlenen Behandlung und auch keine Therapie-Empfehlung darstellen, es geht da wirklich nur um eine Meinung“, erklärt Wolner und ergänzt: „Nicht bei jedem Problem ist eine Zweitmeinung möglich, etwa bei undefinierten Schmerzen.“ Auch für HNO-Krankheiten beispielsweise gibt es derzeit auf der Plattform noch keine Spezialisten. „Derzeit bieten wir nur 240 Diagnosen an, bei Erfolg werden wir sicher erweitern.“ Die Kosten für eine Online-Zweitmeinung liegen derzeit bei nicht gerade wohlfeilen 250 Euro. „Man darf aber nicht vergessen, dass das eine unglaubliche Zeitersparnis mit sich bringt. So entfällt die Terminplanung beim Arzt, die Fahrt zur Ordination und die Wartezeit in derselben“, sagt Wolner. Er und vier weitere Geschäftsführer haben übrigens an die 100.000 Euro in die neue Plattform gesteckt, „und viel, viel Arbeit“, wie er sagt. Erstrebenswert wäre es, so der Mediziner, wenn die Sozialversicherung dieses System eines Tages übernehmen und, sagen wir, Kunden zweimal im Jahr die Möglichkeit einer Zweitmeinung bieten würde. In Deutschland übernehmen schon jetzt viele Krankenversicherer diese Kosten.“ Auch Patientenanwalt Bachinger würde es sich wünschen, dass die Krankenversicherer in irgendeiner Form einsteigen. Er kann sich jedenfalls eine Kooperation mit der neuen Plattform vorstellen.

Wolner sagt abschließend: „Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es ist nicht die primäre Aufgabe der Zweitmeinungsplattform, Diagnose und Therapie des behandelnden Arztes zu korrigieren. In den meisten Fällen wird die Vorgangsweise des Kollegen wohl bestätigt werden.“

Telemedizin

Neu in Österreich ist nun die Möglichkeit einer telemedizinischen Zweitmeinung, also einer unabhängigen Beurteilung einer Diagnose oder vorgeschlagenen oder durchgeführten Therapie.

Einer deutschen Studie zur Zweitmeinung bei Darmkrebs-Diagnose zufolge weichen 50 Prozent der Zweitmeinungen erheblich von der Erstmeinung ab. 70 Prozent dieser Abweichungen gab es bei kleineren Kliniken fernab der Metropolen.

Mehr dazu: www.doctoritas.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2018)

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