Die Welt der 70er- und 80er-Jahre: Weißt du noch, wie es damals war?

Badestrand in Lignano, Italien
Badestrand in Lignano, Italien BilderBox.com
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Wir sind in der vordigitalen Welt aufgewachsen und wollen die Dinge in den Händen spüren, nicht bloß ihre Abbildung auf einem Bildschirm anschauen. Wir wollen ein Gefühl wiederfinden und nicht nur die Fakten.

Sie ging mit mir schon in den Kindergarten, später in die Schule. Ihre Familie fuhr jeden Sommer zwei Wochen nach Krk, und sie schrieb mir Jahr für Jahr eine Ansichtskarte. Auf der Vorderseite stand „Jugoslawien“ und auf der Rückseite in Schönschrift: „Schöne Grüße aus dem sonnigen Süden sendet Dir Marion.“ Der Text blieb immer gleich, nur die Schrift veränderte sich, verlor ihre kindlichen Schnörkel. Irgendwann, viele Jahre später, haben wir uns aus den Augen verloren.

Unlängst, beim Ausmisten, fiel mir eine dieser Karten, die wie vieles andere in Schubladen, Kartons oder alte Koffer hineingestopft worden war, in die Hände. Was alles in eine Schublade passt, merkt man erst, wenn man einmal den gesamten Inhalt auf dem Boden ausgebreitet hat. Schöne Grüße aus dem sonnigen Süden. Ein ganzer Schwall an Erinnerungen kam mit diesem Satz zurück.

Wir als Siebenjährige im weißen Kleidchen, an unsere Taufkerzen geklammert und mit der Sorge im Herzen, was wir machen würden, wenn die Hostie am Gaumen kleben bleiben würde. Es galt als größte Sünde, das heilige Ding mit dem Finger herunterzukletzeln. Deswegen sahen alle, die von ihrer ersten Kommunion kommend den Kirchengang zurückstolperten, auch so betreten aus.

Wir als Neunjährige, als wir uns für „Ein, zwei oder drei“ bewarben und uns überlegten, was wir mit den vielen Sachpreisen anstellen würden. Wir wurden nie für die Sendung ausgewählt. Wir als Elfjährige, im gemeinsamen Galopp zum Bus, der uns aus der Stadt kommend wieder in die umliegenden Gemeinden verstreuen würde.

Wir wissen nicht, warum wir manche Erinnerungen behalten, andere aber nicht. Welche verschüttet liegen, bis sie ein Zufall wieder an die Oberfläche bringt. Manchmal ist es ein Lied, ein Geruch, ein Geschmack oder eben eine Zeile, wie jene auf der Ansichtskarte. Dann erzählt jemand von einem gemeinsamen Erlebnis, und es kommt alles zurück. Manchmal erinnert man sich überhaupt nicht mehr, sosehr man sich auch bemüht. War ich da wirklich dabei? Schau mal, du bist sogar auf dem Foto drauf. Oder aber wir kennen von einem Ereignis wiederum nur ein Foto, bilden uns fest ein, dabei gewesen zu sein und basteln uns so aus Erzählungen und einem Bild eine eigene Erinnerung. Die es gar nicht geben kann, weil wir in Wirklichkeit nie dabei waren.

Überhaupt, die vielen Fotos. Ein Bruchteil davon hat es in Fotoalben geschafft, der Rest verteilt sich auf die üblichen Nistplätze.Die digitale Welt wird andere Spuren hinterlassen. Oder zumindest wenig handschriftliche, keine Zettel, keine herausgerissenen Zeitungsseiten, die schon nach zehn Jahren so vergilbt aussehen, als wären sie antik. Und auch weniger tatsächlich verfügbare Bilder. Denn die gibt es zwar zuhauf, meist auch noch in Form von gestochen scharfen Kurzvideos mit brillantem Ton, aber die sind zu oft eingesperrt in ein altes Handy, für das es kein Ladekabel mehr gibt, einen Computer, dessen Festplatte spinnt, oder unbeschriftete USB-Sticks und Speicherkarten, für deren sorgfältige Sichtung sich nie mehr die Zeit finden wird.

Von „Gedächtsnisprothesen“ spricht die deutsche Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann. Neben Fotos, Filmen, Büchern und Liedern sind das aber vor allem andere Menschen. Denn überprüfen und anreichern können wir Erinnerungen oft nur, wenn andere sie mit uns teilen, wenn das Gedächtnis an die Gedächtnisse anderer Menschen angeschlossen wird. Wir erzählen anderen, aber vor allem uns selbst, dabei das Gestern immer wieder neu und rücken es aus der Perspektive derer, die wir heute sind, zurecht. „Überschreiben“ wird diese Form der immer wieder neuen Erinnerung auch genannt.

Und so wie sich unsere Spuren in einer digitalen Welt verändern, hat sich auch das, was wir unter Erinnern verstehen, nachhaltig verändert. Denn wenn zwei oder mehr zusammensitzen und über früher reden, zückt immer irgendjemand ein Mobiltelefon, um nachzuschauen. Da wird dann ein altes Logo gegoogelt, über dessen Farbe man sich nicht einig wird, eine verschüttete Melodie angespielt, deren zweite Textzeile niemandem einfallen will, oder ein uraltes Foto bringt einen Star von damals zurück.

Doch obwohl im ersten Moment ein großes „Aha“ und „genau“ und „Ich hab doch recht gehabt“ die scheinbare Auflösung bringt und wir schon zum nächsten vergessenen Schnipsel springen, bleibt die eigentliche Frage unbeantwortet stehen. Denn was wir eigentlich wissen wollten, war: Wie ging's uns dabei? Nicht: Wie war das ganz genau?

Deshalb sind wir, die in der vordigitalen Zeit sozialisiert wurden, auch mit dem, was sich im Netz findet, doppelt unzufrieden. Denn wenn schon, wollen wir die Dinge selbst zurückhaben, nicht deren Abbildungen, während ein Digital Native, wie unsere Kinder es sind, nie das Plattencover selbst in Händen gehalten hat, sondern immer nur ein Icon auf einem Bildschirm. Darüber, wie wir die 1970er- und 80er-Jahre erlebten, haben wir ein Buch geschrieben. Die Fakten sagen: So war es. Das Gefühl sagt: So könnte es gewesen sein. Eine Einladung, sich auf die Erinnerung an das einzulassen, was dazwischenliegt.

Und dann sagt wieder jemand: Weißt du noch, es war kalt, und es lag viel Schnee und du warst total verheult, weil du geglaubt hast, du hast die Mathematikschularbeit verhaut. Und es ist, als wäre es gerade eben erst gewesen. Wir haben den Bus versäumt und sind zu Fuß fünf Kilometer heimgegangen, und am Ende war uns warm und die Schularbeit egal.

Kindheitserinnerungen: was einmal anders war

1Skifahren früher, das war viel kälter
Es dauerte lang, bis Goretex und andere Wunderfasern die Sportbekleidung revolutionierten. Bis dahin galt: Was nass ist, bleibt nass. Und auch viele kratzige Schichten übereinander wärmten nicht wirklich.

2Jugend ohne Shoppen
Als wir Kinder waren, hieß Shoppen noch Einkaufen und war kein Hobby. In den Geschäften trennte ein Verkaufspult die Kunden von den Produkten. Und es gab immer zu wenig Taschengeld.

3Die Leitung muss frei sein
Es gab nur ein Telefon pro Familie und das war so platziert, dass möglichst alle mithören konnten. Es war für bedeutende Dinge da, sicher nicht, um sich einfach zu unterhalten. Die Leitung musste möglichst immer frei sein. Man wusste nicht, wer anrief und wer abheben würde.
436 Fotos für die Ewigkeit
Eine Filmrolle fasste 24 oder 36 Aufnahmen, manchmal auch mehr, wenn der Film geschickt eingelegt wurde. Man fotografierte mit Bedacht. Und sah die entwickelten Fotos manchmal erst Wochen später. Das war dann ein bisschen wie Weihnachten.

5Als unsere Mitschüler noch Gerhard hießen
Man nannte seine Kinder so, wie alle anderen hießen: Stefan, Christian und Gabriele. Und suchte nicht nach originellen Namen. Aber Gerhard wird nicht aussterben. Schon bei unseren Enkeln wird das wieder etwas Besonderes sein.

6Hitparade und Bandsalat
Wir brauchten einen Kassettenrekorder, ein Überspielkabel und den Finger stets bereit
auf der Aufnahmetaste. Und die selbst aufgenommene Kassette wurde dann im Walkman zum Bandsalat.

Buchtipp

„Schnee von gestern“Früher war nicht alles besser. Aber es war anders. In rund 70 Geschichten schildern die Autoren Situationen, Alltägliches und Besonderes aus den 1970er- und 80er-Jahren.

Von Friederike Leibl-Bürger und Florian Asamer
Verlag Styria Premium
Preis: 19,99 €

Einige gingen verloren

Herbst. Vor dem Ganztagswandertag der Schule stand stets die bange Frage: Wie weit müssen wir gehen?

In unserer Schulzeit war der Wandertag neben Skikurs und Schullandwoche die einzige nennenswerte Aktivität außerhalb des Schulgebäudes. Grundsätzlich gab es den Wandertag in zwei Spielarten: ganztags und halbtags. Beim Halbtagswandertag dominierten jene Teile des Programms, die wir schätzten. Also die Anfahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln, die Pausen, die Möglichkeit, irgendwo ein bisschen Fußball zu spielen und Süßigkeiten zu kaufen. Auf den Fußmarsch entfielen bei fünf Stunden Gesamtzeit maximal zwei Stunden.

Ganz anders der Ganztagswandertag. Ihm ging oft schon Wochen vorher ein Gefeilsche mit dem Klassenvorstand über das Ziel des Ausflugs voraus. Im Mittelpunkt die bange Frage: Wie weit müssen wir gehen? Und da Lehrer eine durchaus wanderaffine Berufsgruppe waren, während Gymnasiasten kaum etwas weniger gern tun als marschieren, gingen die Vorstellungen diametral auseinander. Fünf Stunden reine Gehzeit waren bei acht Stunden Gesamtausflugsdauer durchaus keine Seltenheit. Sogar für die Sportlichen unter uns ein absoluter Horror. Wir schlugen Ziele vor, die möglichst weit weg lagen.

Unser Kalkül war klar: Je länger der Anfahrtsweg, desto weniger Zeit blieb zum Hatschen. Auf der zehnteiligen Skala zwischen Schlendern und Mount-Everest-Besteigung kam der Ganztagswandertag zwischen sechs und sieben zu liegen. Die Anreise zum Wandertag erfolgte fast immer per Postbus. Was dazu führte, dass wir recht früh aufbrechen mussten, weil die Intervalle zwischen den Bussen groß waren. In unserer Erinnerung war das Wetter immer entweder viel zu heiß oder aber es regnete in Strömen. Was den Klassenvorstand, einen Anhänger der damals gängigen Es-gibt-kein-falsches-Wetter-sondern-nur-falsche-Kleidung-Philosophie, nicht wirklich zu rühren vermochte.

Trotz der genauen Planung kamen wir mindestens einmal von der geplanten Route ab. Dann starrte der Klassenvorstand auf die voll entfaltete Wanderkarte und murmelte: „Da stimmt was nicht.“ Es schweißte uns zusammen. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl hinderte uns aber nicht daran, einige Schüler auf dem Weg zu verlieren und es eine Zeit lang gar nicht zu bemerken. Verloren gingen immer die, die mit schleppendem Schritt das Schlusslicht gebildet hatten und stets eine Kurve weiter hinten waren. Irgendwann waren sie ganz verschwunden. Wir schwärmten dann laut rufend aus und machten uns keinerlei Sorgen, dass sie für immer verloren sein könnten. Der Lehrer dachte an den Postbus und fand das Ganze weniger lustig.

Der Einkehrschwung und die Erbswurstsuppe

Winter. Skifahren war etwas, das alle machten. Nur im eisigen Sturm waren wir einsam – und beim Kampf mit rutschigen Stufen.

Einkehrschwung, das hieß aufwärmen, aufs Klo gehen und kleine Karte. Wobei die Selbstbedienung schon damals Standard war und das Balancieren des Tabletts in Skischuhen mehr zur Ausbildung unseres Gleichgewichtssinnes und damit zur Sicherheit auf den Skiern beigetragen hat als jede noch so schwere Buckelpiste.

Wo heute auf zigtausend Metern manchmal sogar zwischen frischer Steinofenpizza, Filetspitzen und aus einer ansehnlichen Weinkarte gewählt werden kann, hieß es damals immer nur: Erbswurstsuppe, Berner Würstel oder Germknödel. Kaum etwas sieht so eklig aus wie Erbsensuppe mit Würstel. Es gibt sie auch ausschließlich auf Skihütten. Kinder hassen sie, und Erwachsene essen sie nur deshalb, weil es sie an früher erinnert. Die Erbswurstsuppe dient also von jeher bloß dem Verfestigen von Erinnerungen. Eine ähnliche Funktion erfüllt das Skiwasser. Der verwässerte und völlig unangemessen teure Himbeersaft findet nur auf Skihütten Abnehmer. Ein anderes Phänomen der Skikulinarik: Käsespätzle, Kaspressknödel und Gulaschsuppe. Lauter Gerichte, die alle gesundheitlich positiven Effekte des Bergsports mit einem Schlag zunichtemachen.

Doch bevor man sich an diesen fragwürdigen kulinarischen Angeboten laben konnte – so hungrig wie ein Skitag macht sonst nur schwere körperliche Arbeit –, mussten wir zuerst einen Platz ergattern. Das begann mit einer schweren Entscheidung: Wohin mit den Latten und den Stöcken? Die Metall- oder Holzständer vor den Hütten waren meist hoffnungslos überfüllt. Wir neigten dazu, einfach die Bindung zu öffnen und die Skier, so wie sie waren, liegen zu lassen. Man wusste ja, wo sie waren. Später allerdings leider nicht mehr so genau.

Wollte man Mittagessen, und alle wollten zu Mittag essen, also so gegen halb eins, dann stellte sich die Frage: drinnen oder draußen? Wobei, eigentlich stellte sie sich nicht: War es warm und schön, musste man drinnen sitzen. War es eisig kalt, aß man im Freien. Denn die Hütten waren zu den Stoßzeiten so überfüllt, dass man froh sein musste, überhaupt noch irgendeinen Platz zu bekommen. Und der war immer dort, wo gerade niemand sein wollte. Da wir uns unser Essen selber holen mussten, galt es, sich einen Tisch zu sichern, bevor man sich ums Essen anstellte. Am beliebtesten waren in der Hütte Eckplätze mit Bank, jene vor der Hütte, die an der Hauswand. Hatte man einen Platz ergattert, reservierte man ihn mit einem ganzen Haufen an Materialien: Hauben, Handschuhen, Skibrillen, oft auch Anoraks zeugten davon, dass hier nichts mehr zu holen war. Uns Kindern war immer zu heiß oder zu kalt.

Apropos Hütte: Das mit Abstand Gefährlichste am gesamten Skisport waren nicht etwa Fahrten in ungesicherten Tiefschneehängen, Sprünge über nicht einsehbare Schanzen oder waghalsige Schussfahrten – sondern in der Skihütte die Toilette erfolgreich aufzusuchen. Mit geschlossenen Skischuhen versuchten wir die gefliesten, nassen und damit unendlich rutschigen Stufen in den Keller hinunterzusteigen. Hatte man das geschafft, ohne sich den Hals zu brechen, kam der nächste heikle Teil. Unter den verschiedenen wärmenden Schichten etwa jenen Teil herauszuwurschteln, der einem Erleichterung verschaffen konnte. Wer sich hinsetzte, riskierte, dass der obere Teil des Overalls die eklige Nässe am Boden berührte, außer man hatte alles Ausgezogene gekonnt verknotet. Bis dahin klopften dann aber schon zig Wartende an die Klotür.

Auch für unsere Eltern war das Einkehren wenig erholsam. Kaum hatten sie sich hingesetzt, waren wir mit unserem Essen schon fertig und drängten auf den Aufbruch. Die Erwachsenen wollten nach dem Essen gerne noch ein bisschen in der Sonne sitzen und die Augen zumachen. Wir dagegen so schnell wie möglich wieder in die Bindung steigen.

Um zwei Uhr nachts als Erste Richtung Süden

Sommer. Die Fenster waren offen, Gurte nur Zierrat. Auf der Rückbank stapelten sich die Kinder: unser Weg an die Adria.

Aus heutiger Sicht hätten wir die Sommer damals gar nicht überleben können. Das begann schon im Auto. Kindersitz? Schnecken! Anschnallen? Fehlanzeige! Kopfstützen hinten? Unbekannt! Selbst die ersten Gurte, natürlich nur für die Vordersitze vorgesehen, wurden von den Erwachsenen nicht einmal mit Verachtung gestraft. Angeschnallt Auto zu fahren war unmännlich, die persönliche Freiheit einschränkend, in Summe schlicht entwürdigend.

Selbst nach der Einführung der Gurtpflicht im Sommer 1976 war Anschnallen ein absolutes Minderheitenprogramm. Wir lebten in einer Welt, in der es normal war, wenn allein rund ums verlängerte Wochenende zu Pfingsten mehrere Dutzend Menschen ihr Leben im Verkehr ließen. Im Jahr 1972 starben 2900 Menschen auf Österreichs Straßen und damit mehr als sechs Mal so viel wie im Jahr 2013.

Der Inbegriff der Autofahrt, der Weg an die oberitalienische Adria, der uns immer vorgekommen ist wie eine Weltreise, begann obligatorisch in aller Herrgottsfrühe. Man fuhr allerspätestens um fünf Uhr von zu Hause weg, die wirklich gut organisierten Familien brachen schon um zwei Uhr nachts Richtung Süden auf.

Das hatte natürlich auch den Grund, dass man der großen Hitze entgehen wollte. Autos damals hatten (mit Ausnahme von Luxuslimousinen) allesamt keine Klimaanlagen. So fuhr man auch auf der Autobahn mit offenen Fenstern.

Dazu kam noch das Argument, man würde durch die frühe Abreise allfälligen Staus ausweichen. Was natürlich ein großer Unsinn war, da ja alle spätestens um fünf Uhr im Morgengrauen in Richtung Adria aufgebrochen waren. Außerdem, so ein weiteres gängiges Argument, könne man so schon den Anreisetag am Strand nutzen. Was genauso wenig gestimmt hat. Wegen des Staus war man frühestens am frühen Nachmittag in Italien angekommen.

Das Einzige, was nämlich noch mehr Zeit brauchte als die Strecke über die Tauern oder die schlecht ausgebaute Südautobahn oder gar über den immer schon vermaledeiten Brenner, war, von der Autobahnabfahrt Jesolo bis zum Strand an der Lagune zu gelangen: ein elendslanges Schleichen hinter Esel-Melonen-Karren, Dreirädern mit Mopedmotoren und deutschen Wohnwagen, die an einem Diesel-Mercedes hingen.

Bis man endlich in sein Hotelzimmer kam, war es nach 14 Uhr. Dann hatten alle Hunger, aber um diese Zeit schlafen Italiener und es gibt (nach wie vor) nichts zu essen außer ein paar staubtrockenen Toasts, aufgewärmten Pizzastückchen oder in Klarsichtfolie verpackten Croissants, die Brioche hießen. Zudem war die Laune mies. Kein Wunder: Alle Erwachsenen waren müde und unausgeschlafen. Nur wir Kinder nicht. Denn wir waren dazu angehalten worden, im Auto zu schlafen.

Das erfolgte damals allerdings nicht angeschnallt und gut gesichert in einem TÜV-geprüften Kindersitz, sondern die Rückbank wurde ähnlich wie in einem Schlafwagenabteil der Länge nach mit Decken und Pölstern bestückt, und wir lagen ungesichert auf der Rückbank – das kleinste Kind legte sich oft sogar zwischen Vorder- und Rücksitzen auf den Boden, wozu sich der große Citroën DS ohne Schalttunnel am allerbesten eignete. Es gab einige schärfere Bremsungen, die uns von der Bank fallen ließen. Aber sonst ist – nach heutigen Sicherheitsmaßstäben fast unvorstellbar – alles gut gegangen.

Doch damit war der Gefährdungen noch nicht genug. Im Auto wurde selbstverständlich geraucht. Das Wort Passivrauchen war noch gar nicht erfunden. Eine längere Autofahrt in Österreich Ende der 1970er-Jahre bedeutete mindestens eine Schachtel Milde Sorte. Sollten die Kinder die Autofahrt überlebt haben, hatten sie in späteren Jahren zumindest noch die Aussicht auf Lungenkrebs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2014)

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