Die Botschaft der Killervideos des IS

Mit öffentlich zelebrierten Hinrichtungen geht es den Mördern des Islamischen Staates offenbar um Selbsterhöhung.

Gemordet wird meistens von oben nach unten in der gesellschaftlichen Hierarchie. Und wenn Kämpfer des Islamischen Staates (IS) Journalisten, Flüchtlingshelfer oder andersgläubige Gastarbeiter abschlachten, dann imaginieren sie sich als über denen stehend und handeln entsprechend. Es geht um den Abbruch der Brücken.

Wir brauchen euer Mitleid und euer Engagement nicht, ihr Kriegsreporter! Wir brauchen auch keine Ausländer, die in Flüchtlingslagern arbeiten, denken die wohl. Einer der ermordeten Flüchtlingshelfer war noch dazu auf die Arbeit mit Kindern spezialisiert!

Die Hinrichtungsvideos, die die IS-Propagandisten ins Internet stellen, nur als Anwerbefilme für künftige Jihadisten zu sehen, greifen zu kurz. Die Massenmorde an der Bevölkerung in den eroberten Gebieten in Syrien und im Irak, die den künftigen Islamischen Staat ausmachen sollen, tauchen hingegen nicht im Internet auf. Die Botschaft dieser Killervideos betrifft auch nicht den Islam, sondern es geht um Transzendenz.

Streben nach Unsterblichkeit

Die Morde des IS zeigen den Wunsch nach einer Transzendenz der eigenen Endlichkeit. Sie markieren ein Streben nach Unsterblichkeit über den eigenen Tod hinaus. Was aber ein Künstler mit einem Buch oder Film oder Gemälde zu schaffen versucht, wollen die IS-Killer mit den Leichen von anderen Menschen erreichen.

Es geht um eine pervertierte Religion. Man macht sich zu Gott, man „schöpft“ aus Toten, es geht um eine Art Selbsterhöhung. Diese ideologische Strategie trifft sich auch mit der hohen Zahl an Konvertiten unter den Killern des Islamischen Staates, die anfälliger für Pervertierungen sind und wohl eher durch Horrorthriller sozialisiert wurden als durch Kalligrafie.

Religion sollte aber eigentlich etwas Schönes sein, Schöpfung und Kreativität bedeuten, Demut hinsichtlich der eigenen Endlichkeit – zumindest in jenen Religionen, die sich nicht auf Rächerfantasien berufen und „Gottvater“ und menschliche Väter in eins setzen. Die Idee der Transzendenz entstand in der europäischen Aufklärung und meinte ursprünglich die Überwindung der Natur. Die Natur zum Objekt zu machen bedeutete aber auch gleichzeitig, diese zu vernichten und zerstören, schreiben die amerikanischen Wissenschaftlerinnen Deborah Cameron und Elizabeth Frazer in ihrer Studie „Lust am Töten“.

Genauso wurde auch mit den sogenannten Naturvölkern im Kolonialismus verfahren, die in der Hierarchie angeblich unter den „zivilisierten“ Nationen standen. Nach einer Serie von Kolonialkriegen und postkolonialer Konflikte sind die Herrschaftsmodelle im Irak und in Syrien gescheitert.

Die schwarz vermummten Mörder wollen ihre eigene Endlichkeit nicht akzeptieren, sondern ihr kurzes Leben durch Selbsterhöhung mithilfe von öffentlich präsentierten Morden „verlängern“ – sich in die Öffentlichkeit hineintranszendieren; ihre Endlichkeit umwandeln in ein mystisches, ja religiöses Gefühl – der Todesangst und ihrer Überwindung durch Mord. Das macht die Faszination aus und spricht Männer quer über die Kontinente an, die dieses Thema durch Kriegserfahrungen der Eltern oder durch eigene Erlebnisse emotional betrifft.

Ein Frauenleben im Schatten

Dazu passt auch, dass sich Frauen mit einem Leben als Schatten zufriedengeben sollen, mit einem schwarzen Umhang über dem Kopf, durch den männliche Projektionen in ein „schwarzes Loch“ fallen. Ein schwarzer Schutzumhang gegen die Gefahr, zu einem Objekt von Transzendenz zu werden und ähnlich der 26-jährigen amerikanischen Flüchtlingshelferin Kayla Jean Mueller in die tödlichen Mechanismen zu geraten.

Kerstin Kellermann ist freie Journalistin in Wien. Unter anderem schreibt sie regelmäßig für die Obdachlosenzeitung „Augustin“.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2015)

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