Über das Ventilieren von Wut und Zorn via Postings

Die starke Neigung zu den Themen Missbrauch, Vergewaltigung und Tod.

Es ist zu wenig, die Hasspostings im Netz nur als Zeichen von sozialer Benachteiligung zu sehen. Denn solche Postings erfüllen einen Zweck. Der Sinn dahinter liegt tiefer als nur im Ventilieren von Wut und Zorn. Viele Menschen brauchen diese Postings wie die Luft zum Atmen. Auffällig ist jedenfalls, dass es immer wieder und äußerst krass um die Themen Missbrauch, Vergewaltigung oder Tod geht.

Genauso ist es zu wenig, den Grund für terroristische Anschläge in mangelnder Integration zu sehen. Mohammed Atta zum Beispiel studierte in Hamburg Stadtplanung und war Sohn eines Rechtsanwalts. Die Gründe dafür, Terroranschläge zu verüben, scheinen eher in einer gewissen Veranlagung zu liegen, in einer mangelhaften Verarbeitung von Tod und Trauma. Plus einer mächtigen Portion von Arroganz und Größenwahn, einer Art von Wahn, die mit Mord und Tod zu tun hat.

Der vormals rechtsextreme Täter in Vorarlberg brachte vor ein paar Wochen sicher nicht zwei ahnungslose Konzertbesucher einfach nur um, weil er gerade Beziehungsprobleme hatte. Sonst hätte er die Waffe gleich gegen seine Freundin gerichtet und nicht in die Dunkelheit hineingeschossen. Was stimmen dürfte, ist, dass diese Freundin seinen Hang zum Rechtsextremismus eine Zeit lang entschärfen konnte.

Vergiftetes Klima

Als sie sich aber vorrangig um ihr Kind kümmern musste, konnte sie nicht mehr rund um die Uhr für ihren Lebensgefährten da sein. Er als „Border“ empfand das offenbar als extrem bedrohlich – abgeleitet von dem medizinischen Begriff Borderliner, aber noch weiter unten auf der ansteigenden Skala.

Da das gesellschaftliche Klima durch die vielen Morde, die wir täglich via Fernsehen im Wohnzimmer serviert bekommen, gerade schwer vergiftet ist, ist es nicht zu unterschätzen, wenn Poster andere verbal sterben lassen wollen. Man muss sich fragen, wo all dieser abgrundtiefe Hass herkommt. Sicher nicht nur aus einem unbequemen Leben – denn es posten auch Freiberufler oder Geschäftsleute Drohungen gegen Mitmenschen. Es muss etwas Tieferes sein – etwas, was mit der Gesellschaft und mit den einzelnen virtuellen Tätern gleichzeitig zu tun hat.

Schreckliche Tendenzen

Für Nichtbetroffene von körperlicher beziehungsweise sexualisierter Gewalt mag es sich seltsam anhören, und es ist nur eine Theorie. Aber die Hasspostings gegen Journalistinnen zeigen deutlich, worum es geht. Während Frauen Gewalt oft über Selbstverletzungen, Magersucht oder Prostitution „verarbeiten“, machen Männer das lieber über Sucht oder Aggression. Jedes dritte Mädchen, jeder siebte Junge ist von sexualisierter Gewalt betroffen. Wohin mit der mörderischen Wut, die man gegen mächtige Täter nicht ausleben durfte?

Angeblich gibt es schon Maschinen, die abfällige Postings erzeugen können, um das Klima zu vergiften und die Meinungen von Menschen ins Extreme zu drängen. In der Ukraine und gegen den US-Präsidentschaftsanwärter Donald Trump wurden maschinell erfundene Facebook-Accounts nachgewiesen. Reale Menschen eifern nach, weil sie sich in der Mehrheit fühlen, die über eine scheinbare Minderheit triumphiert und anderen begeistert den Tod, eine Vergewaltigung oder Missbrauch wünscht.

Es gibt bereits genügend Menschen, die den Sinn ihres kurzen Lebens in Zerstörung und Tod sehen. Täglich werden es mehr. Man muss diese schrecklichen Tendenzen nicht auch noch virtuell unterstützen, sondern sollte sich anschauen, woher die starke Neigung zu diesen Themen kommt.

Kerstin Kellermann ist freie Journalistin in Wien. Unter anderem schreibt sie regelmäßig für die Obdachlosenzeitung „Augustin“.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2016)

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