Lehren aus Rio: Zu wenig Förderung für Begabte

Die tägliche Turnstunde ist wichtig, mehr Olympia-Medaillen wird sie allerdings nicht produzieren. Die wirklich Begabten muss man in der Schule fördern. Dazu ist auch eine Neubewertung des Schulerfolges wichtig.

Wenn Bundesminister Doskozil seine Ankündigung, den Sport zu entpolitisieren, wahr machen möchte, so muss er als Erstes das Olympische Komitee und die Bundessportorganisation auflösen. Nirgendwo sonst ist der Großteil der Funktionsträger so eindeutig einer der beiden Regierungsparteien zuzuordnen. Die Sache wird allerdings durch das faktische Nominierungsrecht der drei Dachverbände für die verschiedenen Funktionen, wobei die Sportunion und der ASKÖ eigentlich Vorfeldorganisationen ihrer Parteien sind, kompliziert.

Das heißt nicht, dass es nicht auch dort sehr kompetente und engagierte Leute wie Präsident Stoss gibt, aber ohne rot-schwarze Punzierung geht gar nichts. Vertreter von Fachverbänden, die nicht rot-schwarz ausgerichtet sind, haben keine Chance, in die Leitungsgremien aufgenommen zu werden. Politische Gesinnung soll kein Handicap sein, auch ist es kein Fehler, gute Kontakte zu den Regierenden zu haben. Wenn aber die Steuerung des Sportes nur politischen Kategorien unterworfen wird, dann hat man eben das Ergebnis Rio 2016.

Wir sollten uns auch nicht damit trösten, dass wir eine Wintersportnation sind. Wenn man das Programm Olympischer Winterspiele analysiert, wird man feststellen, dass Österreichs Wintersportler, außer im alpinen Skisport, weltweit eine Randsportart sind und in den Kernsportarten der Winterolympiade Langlauf, Eisschnell- und Kunstlauf wenig erfolgreich sind.

Föderale Strukturen

Es ist richtig, dass in der Sportorganisation einiges Geld versickert. Zur Entschuldigung sei aber angeführt, dass die föderale Struktur unseres Landes sowohl die Dachverbände Union, ASKÖ und ASVÖ als auch die Fachverbände zwingt, eine Bundesgeschäftsstelle und neun Landessekretariate zu führen. Daneben gibt es im Sportministerium eine eigene Sportsektion und bei allen Landesregierungen eigene Sportabteilungen. Rechnet man dann noch die Infrastruktur des Olympischen Komitees, der Bundessportorganisation und sonstiger Einrichtungen wie Sporthilfe, Top Sport Austria etc. dazu, so kommt man österreichweit auf weit mehr als tausend Personen, die nur für die Organisation des Sportes tätig sind. Es wäre interessant zu erheben, ob den Fachverbänden, wenn man den Fußball- und Skiverband abrechnet, auch mehr als tausend Posten für Trainer und Trainerinnen zur Verfügung stehen – sicher nicht!

Trotzdem, das ist nicht das Problem des österreichischen Leistungssportes. Das Hauptproblem liegt darin, dass in der Schule die wirklich Begabten – das gilt nicht nur für den Sport – nur selten gefördert werden. Unser ganzes System ist darauf aufgebaut, die Schlechtbegabten auf ein mittelmäßiges Niveau zu bringen, nicht aber die sehr Guten noch besser zu machen. Dabei wäre es für die Zukunft unseres Landes so wichtig, schon in der Schule die wirklich Begabten, in Sprache, Technik, Kunst und eben auch Sport, zu fördern und noch besser zu machen.

Solche Gedanken sind in unserem Land nicht populär und manche müssten auch über ihren ideologischen Schatten springen, um anzuerkennen, dass Spitzenleistung notwendig und nicht nur suspekt ist. Tatsächlich erreichen wir im Leistungssport nur selten die motorisch begabtesten Kinder, sondern vor allem jene, die von ihren Eltern, Großeltern etc. gefördert werden, und das sind nicht immer die Begabtesten.

Die tägliche Turnstunde wird nun als Lösung aller Probleme vermarktet. Die tägliche Turnstunde ist aus Sicht der Gesundheit wichtig, mehr Olympia-Medaillen wird sie sicher nicht produzieren. Auch benötigt man sie nur am Rand, um Hochbegabte zu fördern. Ein Kind mit technischer Hochbegabung, das einmal ein österreichisches Silicon Valley beleben soll oder ein musisch begabtes Kind, das einmal als Konzertpianist tätig sein wird, für solche Kinder ist die tägliche Turnstunde sicher sinnvoll, aber nicht so wichtig. Umgekehrt ist sie für den Einstieg in den Leistungssport zu wenig.

Was könnte man tun? Es wäre sehr wichtig, schon sehr früh selektive Begabungen bei Kindern zu erkennen und sowohl die Eltern als auch die Schule darauf hinzuweisen, dass es Sinn hat, diese Begabung zu fördern. Es ist zu hoffen, dass der geplante Leistungspass für Kindergartenkinder, aber auch für Volksschulkinder kommt und hier mithilft, solche Begabungen frühzeitig zu erkennen. Viele Eltern, die ihre Kinder im Leistungssport, aber auch bei anderen Begabungen fördern, wollen aber, dass ihre Kinder eine ordentliche schulische Ausbildung erhalten, eventuell maturieren – und hier die richtige Balance zu finden, ist oft nicht einfach.

Um dies zu erleichtern, wäre eine beträchtliche Änderung im Unterricht zu diskutieren. Derzeit werden in unterschiedlichem Ausmaß etwas mehr als zehn Schulfächer gelehrt und man muss am Ende eines Schuljahres alle positiv abschließen, um aufzusteigen.

Es ist leicht einzusehen, dass für einen künftigen Konzertpianisten chemische Formeln ziemlich gleichgültig sind, umgekehrt sollte ein technisch begabtes Kind gerade in Mathematik, Physik und Chemie besonders gefördert werden. Für einen angehenden Leistungssportler hingegen ist es wichtig – wie für alle Kinder –, dass man im Deutschunterricht lernt, sich richtig auszudrücken, Englisch erlernt und ganz besondere Kenntnisse in Körperbau, Physiologie, Ernährung und Leistungspsychologie vermittelt bekommt.

Neues Punktesystem

Um solchen Modellen zum Durchbruch zu verhelfen, wäre auch eine andere Bewertung des Schulerfolges notwendig. Als Vorschlag ein Punktesystem: Am Ende eines Schuljahres müssen mindestens hundert Punkte erreicht werden, die je nach Wichtigkeit der einzelnen Fächer vergeben werden. Erbringt ein Jugendlicher eine außergewöhnliche sportliche Leistung z. B. eine Topplatzierung bei einer Jugendeuropameisterschaft, so werden ihm automatsch 30 Punkte gutgeschrieben und der Stress, das Jahr positiv abzuschließen, wäre viel geringer. Sollte so jemand später studieren, so bin ich überzeugt, dass er mögliche schulische Defizite leicht ausgleichen wird, denn eine sportliche Höchstleistung ist eine weit größere intellektuelle Herausforderung als eine gute Schularbeit.

Wenn man sich zur Förderung von Eliten bekennt, der New Deal von Bundeskanzler Kern geht in diese Richtung, so muss man früh in der Schule, aber auch im Elternhaus beginnen. Dann wird es auch wieder bei Olympia Medaillen geben. Leider kommt im österreichischen Schulsystem sofort der Einwand, dass das nicht gehe oder dass die Mehrkosten nicht zu vertreten seien.

Allen Bildungsexperten sei gesagt, dass unser Bildungssystem in Vergleich zu anderen Ländern weit mehr Geld verschlingt, nirgends wird pro Kind mehr ausgegeben als in Österreich. Und so kann mir niemand erzählen, dass durch eine vernünftige finanzielle und strukturelle Umstrukturierung eine Förderung von Exzellenz in der Schule als Investition in die Zukunft unseres Landes ohne zusätzliche Kosten nicht möglich sei.

DER AUTOR

E-Mails an:debatte@diepresse.com
Univ.-Prof. Dr. Ernst Wolner (*1939). 1994 bis 2008 (Emeritierung) Vorstand der Abteilung Herz-Thorax-Chirurgie am AKH. 1996 bis 2004 Präsident des Obersten Sanitätsrats. 1997 bis 2012 Präsident des Österreichischen Tennisverbandes. Derzeit Obmann (= Eigentümervertreter) des Trägervereins der Liese-Prokop-Privatschule für Leistungssportler, Südstadt. [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2016)

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