Brauchen wir den ORF und Qualitätsmedien?

Die Internetblase wird für die demokratische Infrastruktur zunehmend zu einer Gefahr. Aber die Demokratie braucht weiterhin Medien, die reichweitenstark, breit, pluralistisch und qualitätsvoll informieren. Das kostet.

Während bei der Gesamtbevölkerung in Österreich laut „Digital News Report des Reuters-Institute“ – einer Studie in 26 Ländern, die heuer zum fünften Mal durchgeführt wurde – Fernsehen mit 34,7 Prozent vor Onlinemedien (30,8), Printmedien (23,3) und Social Media und Blogs (zehn Prozent) als Hauptinformationsquellen angaben, sieht das Bild bei den 18- bis 24-Jährigen dramatisch anders aus: 59,1 Prozent Onlinemedien, 31,6 Social Media und Blogs, 20,8 TV und 12,4 Prozent Zeitungen.

Laut Spectra bewegen sich 37 Prozent täglich in sozialen Netzwerken, hauptsächlich Facebook – eine Verdreifachung gegenüber 2010, bei den Jungen sind es 71 Prozent. Auf der anderen Seite mussten die beiden ORF-Vollprogramme im September 2016 die niedrigsten Marktanteile ihrer Geschichte verzeichnen – 8,8 Prozent ORF eins, 21,7 ORF II. Vor 25 Jahren erreichte ORF eins noch 44 und ORF2 33 Prozent: ein bemerkenswerter Absturz, vor allem von ORF eins.

Klassische Medien am Ende?

Suggerieren diese Zahlen nicht, dass klassische Medien wenig Jugend und kaum Zukunft haben? Der Chefredakteur des Hamburger Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, Klaus Brinkbäumer, warnte vor einigen Monaten vor der Internetblase: „Facebook und Twitter bergen die Gefahr, dass ihre Nutzer nur lesen, was sie sich wünschen, dass sie sich also minütlich selbst bestätigen und am Ende den eigenen Hass für rational und bestens begründet halten.“ Oder wie es der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen am 11. August 2016 im Wochenblatt „Die Zeit“ formulierte: „Man will nicht wahrnehmen, was nicht zur eigenen Weltsicht passt.“

Es kommt also auf den Content – die Inhalte – an. Und auch darauf, auf welchen Wegen und Plattformen auch immer diese Inhalte an ein möglichst breites Publikum zu bringen. Es ist daher nur logisch, dass die klassischen Medien sich auch im Internet und den sozialen Medien bewegen. Wer ihnen die Entwicklung in diesen neuen Formen verbietet, führt auf mittlere Sicht deren Tod herbei. Und vor allem gefährdet er „Infrastruktur der Demokratie“, die von Orientierung, fundierter Information und dem Abwägen der unterschiedlichen Meinungen lebt.

Die klassischen Medien bieten nämlich etwas an, was die Gratisanbieter nicht haben: journalistische Qualität, Professionalität, österreichische Inhalte. Das kostet etwas. So wie die Demokratie – trotz aller berechtigten Kritik an ihnen – die Parteien zur Meinungsbildung und Entscheidung braucht, benötigt sie Medien, die reichweitenstark, breit, pluralistisch und qualitätsvoll informieren. Der ORF wird seine öffentliche Finanzierung nur dann legitimieren können, wenn er sich von Privatsendern unverwechselbar unterscheidet und auch so etwas wie die kulturelle geistige Visitenkarte Österreichs und eine reichweitenstarke „Zentralanstalt österreichischer Identität“ ist.

Abstoßender Postenschacher

Gerade die Information, die Landesstudios und die Regionalität ohne Provinzialität sind ein Asset. Jeden Tag versammeln sich immer noch eine Million Menschen vor „Bundesland heute“ und „ZiB 1“. Weder Abspielkanal von US-Filmware noch Nischensender reicht aus. Statt diese Inhaltsdebatte zu führen wurde in den letzten Wochen wieder ein abstoßendes Schauspiel um Posten vorgeführt. Wenn die Position des Generaldirektors auch damals schon – so wie jetzt seit der Gesetzesänderung um die Jahrtausendwende – in offener Abstimmung ermittelt worden wäre, hätte der legendäre Gerd Bacher nie zweimal seine Wiederwahl gegen den Willen der damaligen Mehrheitspartei im Parlament erreichen können. Bei offenen Personalabstimmungen hingegen wird unabhängig von Personen und Konzepten die Parteidisziplin stets obsiegen.

Die Wiedereinführung geheimer Personalabstimmungen und die Reform der Zusammensetzung des Stiftungsrates im Sinne stärkerer Unabhängigkeit sind also geboten. Natürlich soll es auch ein ORF-Gremium geben, in dem die gesellschaftliche und regionale Vielfalt abgebildet wird – ein aufgewerteter Publikumsrat etwa.

In den nächsten Wochen wird wieder leidenschaftlich diskutiert werden, ob und um wie viel der ORF seine Gebühren erhöhen darf. Eigentlich eine Debatte von gestern, seit der Verwaltungsgerichtshof entschieden hat, dass ORF-Konsum auf PCs, Tablets und Smartphones nicht gebührenpflichtig ist und die TVthek kostenfrei genutzt werden kann.

Warum keine Haushaltsabgabe?

Ein Lösungsansatz, wie er in Deutschland und in der Schweiz gefunden wurde, wäre eine Haushaltsabgabe. Man könnte diese Medien- und Demokratieabgabe in Österreich nicht nur für den ORF, sondern für die Förderung der Medien und ihrer Inhalte insgesamt verwenden. Gemeinsam mit den frei werdenden Mitteln durch eine zurückhaltendere Inseratentätigkeit der öffentlichen Hand, einer Abgabe auf Werbung im Onlinebereich und „Österreich-Werbefenstern“ deutscher privater TV-Sender, die daraus schon mehr Einnahmen als der ORF lukrieren, sollten sich ohne Gebührenerhöhung eine besser dotierte Förderung von Medienqualität und die ORF-Finanzierung locker ausgehen.

Die ORF-Finanzierung ist eine teure Sache. Sicherlich würde man den ORF bei einer Neukonstruktion nicht mehr so aufstellen, wie es vor 50 Jahren nach dem Rundfunkvolksbegehren erfolgt ist – mit hypertropher Technik, großem Betriebsräteapparat und teuren Pensionszusagen. Der Kultur- und Informationsspartenkanal ORF III, die wohl gelungenste ORF-Innovation der vergangenen Jahre, erzielt als Low-Budget-Sender mittlerweile eine tägliche Reichweite von 500.000 Sehern.

Auf die Taten kommt es an

Bei der Programmstruktur stellt sich überhaupt die Frage, ob nicht ein TV-Vollprogramm – ein noch stärker mit österreichischer Kreativität, Filmen, Dokumentationen und Infosendungen profilierter ORF III –, begleitet von diversen Spartenkanälen und digitalen Angeboten vor allem für die Jungen, ausreicht. Auch eine verstärkte Kooperation mit österreichischen Privatmedien ist anzustreben.

Der Feind sitzt nicht im eigenen Land, sondern es gilt, gemeinsam Google, Netflix & Co. mit eigenständigen Programminitiativen Paroli zu bieten. Deren von österreichischen Medien kostenfrei abgesaugten Inhalte wären ebenfalls einer Abgabe zu unterziehen.

Nicht zuletzt ist auch zu prüfen, ob der ORF nicht früher oder später auf Werbeeinnahmen verzichten sollte, um seinen öffentlich-rechtlichen Charakter zu unterstreichen.

Medienminister Thomas Drozda hat zuletzt mehrfach entsprechende Reforminitiativen angekündigt. Es kommt auf die Taten an, damit pluralistische Qualitätsmedien im Zusammenwirken mit intensivierter politischer und medialer Bildung ihren unverzichtbaren Beitrag für eine zukunftsfeste Demokratie leisten können.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2016)

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