Ein Produkt des Systems

Dass der unerfahrene Exzentriker Donald Trump als Kandidat so weit kommen konnte, liegt am US-Vorwahlverfahren.

Die ganze Welt schaut seit Monaten gebannt auf die USA. Zu Recht, besteht dort doch die Gefahr, dass ein politisch völlig unerfahrener, ethisch höchst fragwürdiger Kandidat zum Präsidenten gewählt wird und damit das einflussreichste Amt der Welt übernimmt. Wie ist das in der ältesten der großen Demokratien möglich geworden? Mir scheint, ein ganz wichtiger Grund dafür kommt praktisch nie zur Sprache.

Es ist dies das US-Wahl- oder genauer: das Vorwahlsystem. Mit Max Weber gilt heute ganz besonders, dass es für eine gut funktionierende Demokratie entscheidend ist, dass es geeignete Verfahren zur Auswahl geeigneter Kandidaten für politische Ämter gibt.

Weber sah diese vor allem im Parlament und kritisierte das politische System Deutschlands vor und nach dem Ersten Weltkrieg scharf dafür, dass dem Parlament nicht mehr Gewicht zukomme, sodass sich junge, selbstständig denkende Nachwuchspolitiker bewähren und durchsetzen konnten.

Ein massives Problem in den USA stellt das Vorwahlsystem für die Auswahl der Spitzenkandidaten der beiden großen Parteien dar. Dieses Verfahren zieht sich in den verschiedenen Staaten über Monate hinweg und hält die Öffentlichkeit im Bann, aber weniger durch scharfe inhaltliche Debatten, sondern vor allem wegen griffiger sowie kontroverser Sager und sensationeller Enthüllungen.

Kein kritisches Nachfragen

Dabei spielen die Medien eine bedeutende und unrühmliche Rolle. In der ersten Vorwahl der Republikaner in Iowa landete Trump auf dem zweiten Platz. Je ausfallender seine Äußerungen wurden, desto mehr dominierte er Medien und soziale Netzwerke und desto mehr Wahlen gewann er, was anfangs kaum jemand so erwartet hatte. Auch kritische Nachfragen der Journalisten vermisst man: Bei der zweiten TV-Debatte mit Hillary Clinton behauptete Trump etwa, die USA müssten für den Atomdeal mit Iran 150 Milliarden zahlen.

Mit der Skandalisierung des Wahlkampfes hängt ein weiteres, höchst erstaunliches Faktum zusammen: Die Tatsache, dass man in kaum einem Kommentar zu Trump lesen konnte, dass er politisch im Grunde völlig unerfahren ist; auch Hillary Clinton erwähnt dieses Faktum praktisch nie. Heute ist, um nochmals Max Weber zu zitieren, Politik ein Beruf, der wie jeder andere hoch qualifizierte und anspruchsvolle Beruf systematische Ausbildung voraussetzt.

Außer seiner beruflichen Tätigkeit als Immobilienmakler wirkte Trump in Spielfilmen mit (dafür erhielt er einen Preis für den schlechtesten Nebendarsteller), veröffentlichte teilweise sehr erfolgreiche Bücher über Verhandlungs- und Geschäftspraxis, und wirkte in der erfolgreichen Fernsehserie „The Apprentice“ mit. Er war sukzessive Mitglied in allen größeren US-Parteien (Republikaner, Demokraten, Independence Party, zuletzt wieder Republikaner), ohne in diesen jedoch jemals irgendeine bedeutendere Rolle zu spielen.

Die Conclusio aus dem Ganzen: Wenn in Europa (gerade in Österreich) das Persönlichkeitsmoment im Vergleich zu den Parteien vielfach nur eine untergeordnete Rolle spielt, erhält es durch das US-Vorwahlsystem ein extremes Übergewicht. Beide Systeme bedürften einer gründlichen Reform.

Max Haller ist emeritierter Professor für Soziologie der Karl-Franzens-Universität Graz und Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er lebt in Wien und Graz.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2016)

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