Österreichisches Deutsch: Bitte schützt das Ziesel!

Ausverkauf. Was wir „Österreichisch“ nennen und im „Duden“ oft als „bayer.-österr.“ Sonderform markiert wird, geht den Bach hinunter.

Weihnachten kommt und ein in der „Presse“ unter der humorvollen Überschrift „Heiligbimbam“ abgedruckter Leserbrief rüttelt mich auf (7. 12.). Der Leser bringt eine sehr ernst zu nehmende Beschwerde vor: „Aus dem Heiligen Abend wird in Nachäffung des Cousins im Norden ,Heiligabend‘.“ Sogar in der „Presse“-Ausgabe mit dem Leserbrief liest man wie zur Bestätigung desselben: „Schließlich steht Heiligabend unmittelbar vor der Tür.“

Auch die Zeitangabe „an Weihnachten“ gehört zu diesen Missbildungen, so als ob das vertraute „zu Weihnachten“ Mängel aufwiese: „Jeder Mitarbeiter in einem Notdienstbetrieb ist glücklich, wenn er an Weihnachten keinen Dienst schieben muss“, stand in der „Presse“ – aber nicht „an Weihnachten“, sondern schon im vergangenen Sommer (31. 7.).

Ab und zu besinnt sich die Zeitung in einem Artikel oder dem Beitrag eines Gastautors der Notwendigkeit, mit den regional bereicherten Sprachformen auch die österreichische Identität zu pflegen. Es gibt eben einen Unterschied zwischen Suppe und Brühe, Kipferl und Hörnchen, Aufzug und Fahrstuhl, Burschen und Jungs, Kehricht und Mist, Jänner und Januar.

Das sind ein paar Beispiele von Hauptwörtern unter vielen, hinzu kommen grammatikalische Unterschiede. Österreicher sind gesessen und gelegen, Deutsche haben gesessen und gelegen. „Das iPhone ist auch in seiner siebten Auflage ein Verkaufsschlager“ (26. 11.) – sprachlich ein Leiden, denn die Ordnungszahl von sieben wird weit schöner, weil richtig, mit Formen von „siebent“ gebildet. Oft wird in Österreich das sächliche Geschlecht vorgezogen: das Cola vs. die Cola, das Offert vs. die Offerte, das Prospekt vs. der Prospekt. Das hätte auch einer großen Überschrift auf der Bildungsseite gutgetan: „Wer den Ziesel nicht ehrt“ (10. 12.). In Österreich heißt das putzige Tier laut Wörterbuch „das Ziesel“.

Die Unart, dem Wörtchen „dabei“ ein „mit“ vorzusetzen, ist zur Seuche geworden. Neuerdings sind in Presse, Rundfunk und Fernsehen alle bei diesem Unsinn nicht bloß dabei, sondern „mit dabei“. Das führt im Einzelfall zu einem Kunstprodukt folgender Art. Im Artikel über den Ringtheaterbrand heißt es: Es war im Kriminalmuseum der rußgeschwärzte abgetrennte Kopf einer Frau, der die Regisseurin McKechneay an der Geschichte „mit gefesselt hat“ (3. 12.).

Im deutschen Sprachraum gibt es markante regionale Sprachunterschiede. Das Deutsche glänzt durch Vielfalt, die jedoch durch plumpe Werbesprüche („lecker!“) und rücksichtslose Synchronisierung der Filme („Mann-o-Mann!“) eingeebnet wird. Jedes Mal geht ein Stück sprachlicher Identität verloren.

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„Ein 46-jähriger Frisör wurde gestern kurz vor Mittag in seinem Laden in der Wienerbergstraße in Meidling von einem Unbekannten niedergeschossen“ (17. 12.). Seit wann hat ein Friseur einen „Laden“ und nicht etwa ein Friseurgeschäft oder gar einen Salon, wie es dann im Hauptartikel richtig heißt? Gegen den Frisör mir „ö“ kann man nur schwer vorgehen. Die voreilige Eindeutschung hat sich zwar nicht durchgesetzt, wird in den Rechtschreib-Wörterbüchern jedoch geduldet.

Anwälte und Steuerberater „blieben in dem Schäuble-Papier jedoch außen vor“ (3. 12.). Hat sich jemals ein Redakteur überlegt, was „außen vor“ für eine Konstruktion ist, außer dass sie von unseren norddeutschen Freunden unentwegt verwendet wird? Diese würden, stellte man ihnen diese Frage, wohl antworten: „Das muss ich mir mal ankucken.“ Daran ist nichts zu bekritteln, weil ihre Sache. Aber wie lang dauert es noch, bis auch wir Österreicher kucken statt schauen werden? Die Sache mit dem Ausverkauf des österreichischen Deutsch ist traurig und fast hoffnungslos.

Da ich unabhängig davon kritisch anmerken wollte, dass „Die Presse“ kein Wort darüber verlor, dass der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble in Wien mit dem Leopold-Kunschak-Preis ausgezeichnet wurde und dabei eine Grundsatzrede gehalten hat, bin ich fast versucht zu sagen: Die Zeitung hat ihn „außen vor“ gelassen.

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Vor großen Feiertagen steigt messbar der Stress in der Redaktion. Dann stimmt das, was jemand schreiben wollte, mit dem, was herauskommt, nicht überein. „Dem Seefelder Tourismusverband wurde mittlerweile versprochen worden, dass das Gerät im richtigen Seefeld ankommt.“ (25. 11.) Oder hier: Die neuen Sitzgelegenheiten vor dem U-Bahn-Aufgang in der Herrengasse „sind sich bis mit dem Eröffnungstermin nämlich leider nicht ausgegangen“ (1. 12.).

Jedenfalls muss auch nicht gleich das erste Wort eines Artikels schiefgehen wie bei dem Interview über die Saudis als Disney-Fans. Die etwas komplizierte Einleitung beginnt mit „Palymra“ (10.12.). Es kann nur die antike Stadt Palmyra in Syrien gemeint sein. Danke dennoch für das Interview, man wird den Roman des Autors Mathias Énard über den österreichischen Musikwissenschaftler Franz Ritter und seine Orientverbindungen gern lesen. (10. 12.)

Hier kommt ein Satz mit einem Wort zu viel, man darf sich aussuchen, welches: „Ein paar wenige Männer“ hätten beim Bau eines neuen Europas die Konsequenz aus der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus gezogen (26. 11.). Wolfgang Brandstetter ist lang genug Justizminister, sodass er eigentlich nicht mehr mit Umlaut in einen Brandstätter verwandelt werden sollte (9. 12.).

Im Gedenken an die Einnahme der kroatischen Stadt Vukovar durch serbische Truppen: „Hier standen Serben und Kroaten selbst in den Pausen in anderen Ecken des Schulhofs“, heißt es in einem Bericht (18. 11.). Sie standen in verschiedenen Ecken, nicht in anderen.

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Sogenannte Info-Grafiken sind nützlich, müssen aber auf Anhieb verständlich sein. Für eine „Wahlanalyse“, die aus hundert oder mehr Luftballons unterschiedlicher Größe und Flughöhe besteht, lässt sich das nicht behaupten (6. 12.). Ihr wird stattdessen eine endlose Erläuterung vorangestellt, die bewirkt, dass man überhaupt nichts mehr versteht außer den Hinweis, dass diese Grafik im Internet „interaktiv“, also beweglich, zu studieren sei. In der gedruckten Zeitung ist keine Bewegung.

Kompliziert kann nicht nur eine Grafik sein, sondern auch ein Philosoph oder Soziologe wie etwa Herbert Marcuse. Ich bezweifelte zunächst, ob er wirklich schrieb, wie in der „Presse“ behauptet wird, dass nicht nur die herrschende Klasse zum Establishment gehört, sondern all jene, „die bewusstlos mitmachen und so das gesellschaftliche System mittragen“ 3. 12).

Die Nachforschung ergibt, dass ein derartiger Ausspruch Marcuses schon öfter zitiert wurde, was ja bedeutet, dass unsere Zukunft von Bewusstlosen gestaltet wird. Na ja, hätte der Philosoph den Wahlkampf zur jüngsten Präsidentschaftswahl in den USA noch erlebt, hätte ihm die neueste Geschichte recht gegeben.

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2016)

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