Spiegelschrift

Sorge um Österreichs Kultur Was ist heute noch echt?

In Österreichs Kulturschaffen sind verwegene Regisseure und Politiker am Werk. Selten mit überzeugenden Ergebnissen.

Abonnenten der „Presse“ haben gegenüber Zufallskäufern den Vorrang, dass sie rasch merken oder spüren, wenn sich das von der Redaktion gebotene Meinungsbild verändert. Ich berichte hier von einer Verschärfung der Kritik zweier Spitzenjournalisten am kulturellen Geschehen in Österreich und überlasse es den Leserinnen und Lesern, zu entscheiden, ob sie der Kritik folgen können.

Thema „Jedermann“ in Salzburg: Vor einem Jahr hat sich „Die Presse“ aus Anlass der damaligen Inszenierung noch den Kopf zerbrochen, wie die Mysterien des „Jedermann“ den heutigen Zeitgenossen zugänglich gemacht werden könnten. Jetzt erfahren wir aus diversen Medien, wie Tobias Moretti, also ein Schauspieler, öffentlich verkündet, welche Passagen des Hofmannsthal-Werks unzeitgemäß seien und gestrichen würden. Dafür wird Moretti in der „Presse“-Rezension bestraft: Er wirke überdreht und sei in dieser „Moretti-Show des ,Jedermann‘“ vor allem bereit für den großen Schlussapplaus (23. 6.).

Der Leitartikel „Niederschwellige Kultur“ ist andererseits eine gnadenlose, aber informative Analyse der Leistungen der Wiener Donauinselfest-Funktionäre (24. 7.) und man erfährt, dass die Rezensenten des „Presse“-Feuilletons das Popfest am Karlsplatz wegen seines Qualitätsverfalls nicht mehr beachten. „Hinter dem Konzept der niederschwelligen Kultur steckt im Grunde eine verächtliche Einstellung gegenüber den ,breiten Massen‘: Man müsse sie zur Kultur locken, indem man diese in einer Jahrmarkts-, Kirtags- oder Clubbingszenerie versteckt. Aus gratis Berieselten werden keine – zahlenden – bewussten Konsumenten.“

Wenn zudem einem renommierten Kulturjournalisten nach der in den Medien abgefeierten Premiere der Mozart-Oper „La Clemenza di Tito“ nacheinander die Vorwürfe entfahren: willkürliche Textkorrekturen, platteste Bühnenspielbilder, Libretto und Handlung verfälscht, Verrat an Mozarts Partitur, spätpubertäre Aktionismen der Regie – dann fragt man sich, mit wie viel Kilo Waschpulver Mozarts Meisterstück bühnengerecht zugerichtet wurde.

Schwarzer Freitag

Nicht alle kritischen Stoßgebete der „Presse“ treffen zielgenau ins Herz. Warum die Zeitung kurz nach den Berichten über den Aufschwung in der österreichischen Wirtschaft unter dem Aufmachertitel „Zehn Jahre Krisenmodus“ auf vier Seiten eine Art Schwarzen Freitag veranstaltet, ist nicht durchschaubar (5. 8.). „Alarmsignale“, „Brandbeschleuniger“, „Aktiencrash auf Raten“, „großer Knall“ sind deftig.

***
So nebenbei muss man die Feuilletonisten der Kultur wieder einmal darauf aufmerksam machen, dass ihr Fachchinesisch die Allgemeinbildung überfordert. Im „Parsifal“ hätten „Blumenmädchen sich bald als Odalisken in einem biederen Hamam“ geräkelt. Was sind „Odalisken“? Der osmanische Begriff für Zimmer und Gemächer ist auch eine historische Bezeichnung für die hellhäutigen Konkubinen bzw. Kammermädchen im Dienst des Sultans. Das erfährt man freilich in Wikipedia und nicht in der „Presse“. Und ein Hamam ist eine öffentliche Badeanstalt im arabischen Raum.

Ähnliche Verständnislücken hinterlässt die Kaffeehausreportage auf der Seite „Menschen/ Veranstaltungen“ (31. 7.). Was ein „Third-Wave-Kaffee“ ist, würde laut „Presse“ der Betreiber des Fenstercafés gern erklären, aber „Die Presse“ fragt nicht danach und sagt es nicht. Also bitte hingehen und fragen – es gibt nur ein Fenstercafé in Wien.

***
Auch wenn einst als ehern gegoltene Grammatikregeln verschwimmen, würde sich ein aufrichtiges „einander kennenlernen“ in folgendem Satz über die ÖVP-Generalsekretärin Elisabeth Köstinger und Parteichef Sebastian Kurz gut machen: „Die beiden lernten sich kennen, als Kurz noch Chef der JVP war“ (23. 6.).

Kurze und dennoch sehr aussagekräftige Kommentare wie „Warum Belohnung nicht immer gut ist“ (27. 7.) über die merkwürdige Ausschreibungspraxis beim Parlamentsumbau würden die politische Berichterstattung beleben.

Bei genauer Lektüre habe ich den Eindruck, dass der Hitzesommer Buchstaben oder Wörter willkürlich verschluckt oder hinzufügt: Folgender Satz deutet auf einen kollektiven Fenstersturz hin: „Man sprang bei Kontrolle aus dem Fenster“ (1. 8.). Es wird bloß ein einzelner Mann gewesen sein. Auch dem „Fesnetz“ fehlt etwas, während die „FPÖ als Sperrspitze“ in Misskredit gerät. Bei „Cappuccino heißt oder kalt“ geht es erkennbar nicht darum, wie der Kaffee heißt.

Wenn sich in Libyen Menschen in ein Boot zu setzen, „weil sie in ihren Heimatländern bleiben können“, so fehlt offensichtlich das wesentliche Wörtchen „nicht“, selbst wenn der Bundespräsident zitiert wird. Richtig hieße es: „Weil sie nicht in ihren Heimatländern bleiben können“ (21. 7.). Kann durchaus sein, dass bei der Aufführung der „Meistersinger“ in Bayreuth „eine Mine erstarrt“ ( 27. 7.), aber wenn schon, dann doch die Miene eines Schauspielers und kein Explosionskörper. Manchmal verschwindet ein ganzer Titel wie bei der Buchbesprechung von Tina Solimans „Funkstille“ (13. 8.).

Immer öfter an Bord

Die fortwährenden Berichte über Bootsflüchtlinge scheinen zu bewirken, dass in allen Ressorts immer wieder jemand „an Bord“ oder „von Bord“ geht. Es ist ja genug Bewegung in Österreich. „RIV holt sich Startup an Bord“ lautet ein Titel, und an anderer Stelle: „Ganz gegen seine Gewohnheit warf Eder seine Zurückhaltung zumindest teilweise über Bord und stellte für das Geschäftsjahr 2017/18 ein deutliches Umsatzplus auf zwölf Mrd. Euro in Aussicht“ (10. 8.) und beim Film: Vin Diesel und „Fast And the Furious“-Autor Chris Morgan seien als Produzenten an Bord (4. 8.). Wenn es so weitergeht, wird man glauben, Österreich verfüge noch über eine Marine.


***
Im fortwährenden Kampf gegen schwer verständliche Schachtelsätze wird mir wenigstens eine neuartige Erkenntnis zuteil: Es gibt zwei Arten von Schachtelsätzen. Den überwiegenden Teil produziert das ungemein leistungsfähige Gehirn eines Autors oder einer Autorin, indem es einen Grundgedanken in kreativer Schaffensfreude immer wieder durch neue und zumeist sprachlich einwandfreie Komponenten erweitert, bis das Gesamtkunstwerk von niemandem mehr verstanden wird. Bei der zweiten und seltenen Variante von Schachtelsätzen wissen Schreiber und Schreiberin spätestens beim achten Wort nicht mehr, was sie eigentlich sagen wollten, sind aber davon überzeugt, dass es etwas sehr Wichtiges gewesen sein muss, weshalb sie munter weiterschreiben, beispielsweise hier: „Ob ÖFB-Kapitänin Viktoria Schnaderbeck (sie wurde nach der erlittenen Rissquetschwunde beim 1:1 gegen Frankreich im Spital von Utrecht genäht, ihre Teilnahme ist für Mittwoch fraglich), Carinna Wenninger und Torfrau Manuela Zinsberger, man schätzt Arbeit und Klima in München“ (25. 7).

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.