Spiegelschrift

Exklusivität im Internet: Sichere Fakten sind wertvoll

Exklusiv. Durch Recherchen glänzt „Die Presse“ in der Innenpolitik. Diese Leistung belebt die Zugriffe auf kostenpflichtige Onlinemeldungen.

Mitten in den Koalitionsverhandlungen weist „Die Presse“ nach, dass es eine ernsthafte Kandidatin für das Außenministerium gibt. Die Ex-Diplomatin Karin Kneissl wäre bereit, auf Vorschlag der FPÖ den begehrten Ministerposten anzunehmen. Kneissl bestätigte es der „Presse“. Deren Meldung wurde online mit einem blau eingefärbten Titelkopf verbreitet, womit jeder „Presse“-Online-Leser sofort weiß, dass der Inhalt der Nachricht nur nach Registrierung und gegen eine bescheidene Nutzungsgebühr gelesen werden kann.

Neugierige Leser und Leserinnen der „Presse“ können sich also parallel zur Lektüre ihres Blattes im Internet davon überzeugen, welche Meldungen digital im höheren Rang der Exklusivität angeboten werden. An dem betreffenden Samstagvormittag war das eine beachtliche „blaue Reihe“ aus fast allen Ressorts: „Wie der Staat Jobs für Langzeitarbeitslose erfindet“; „Großes Zittern in der roten ÖBB“; „Jean-Jacques Rousseau – Ahnherr der Linken“; „Peter Pilz und Alfred Noll streiten“; und auch die prächtige Besprechung von Schnitzlers „Professor Bernhardi“ im Theater in der Josefstadt.

Schade finde ich nur , dass dieser Rezension nicht auch die köstliche Zeitungsglosse angehängt wurde, in der der Autor die Theaterbesucher vor hysterischen Anfällen warnt, die bei Schnitzler immer auftreten könnten. Schnitzlers Texte seien rezept- und chefarztpflichtig. „Ich spüre meine Leber schwellen. Als dann Dr. Adler auftritt, glaube ich bereits, ich sei tot. Nein, mein Urologe wird mich nach dieser unheimlichen Begegnung auf Monate hinaus nicht mehr sehen.“ Ich berichte das deshalb, weil auch die digitale Lesergeneration Anrecht auf abgründigen Humor hätte.

Wenn wir vor Jahrzehnten in der „Presse“-Redaktion darüber diskutierten, ob nicht der eine oder andere Artikel so hochgestochen sei, dass ihn vermutlich nicht einmal der Autor verstände, pflegte sich der inzwischen längst verstorbene Außenpolitiker Lajos Marton voll Ironie auf die kundenfreundliche Seite zu schlagen, indem er mit gespieltem Ingrimm ausrief: „,Presse‘-Leser haben nichts zu lachen!“

***
Gewinnbringend sind auch Artikel, die den Zugang zum unterirdischen Kräftemessen der Gesellschaft öffnen: „Rechts-Links: Bücher zum geistigen Bürgerkrieg“ (11.11.); „Demokratie fällt nicht vom Himmel herab“ (31.10.) sowie „Wilder Westen im Wohnzimmer“ über miserabel behandelte „Diener“ wie radelnde Boten, Reinigungskräfte und Essenslieferanten („Presse am Sonntag“, 3.12.).

Dem Onlinepublikum sagt man nach, dass es auf Stil und Rechtschreibung wenig Wert lege. Ist das wirklich so? Die aus der gedruckten Zeitung ins Internet beförderten sprachlichen Fehler fallen auch in digitaler Form auf – vor allem, wenn es sich um simple Ausrutscher handelt wie: Finanzielle Kürzungen seien „entgegen vielen Gerüchte“ nicht geplant. (29.11.) Das fehlende Dativ-n in „Gerüchte“ schmerzt auch digital.

Das ist ebenso der Fall, wenn für ein Hauptwort ein falsches Fürwort eingesetzt wird: „Man entdeckte, dass Lichtstrahlen im Schnitt in Flüssigkeiten immer gleich lange unterwegs sind, egal, auf wie viele Hürden es dabei trifft.“ (11.11., „Wissen“). Oder wenn einem guten deutschen Wort aus Bequemlichkeit ein englisches Plural-s angehängt wird: „Nun finden sich alle Mandatare in einem Klub wieder. Zumindest, bis es zu den ersten Streits kommt.“ (9.11.). Das Ersatzwort Streitigkeiten hätte das Formulierungsproblem gelöst.

Wenn im Wort berichtete das r verloren geht, bekommt es für den Zusammenhang eine merkwürdige Bedeutung: Im Tauziehen zwischen Mailand und Bratislava um die Arzneimittelagentur heißt es: „Es würde Mailand das Rennen gewinnen, beichtete die Tageszeitung ,Financial Times‘“. (11.11.)

***
In die Rechtschreibung und Grammatik sind Fallen eingebaut, die oft beschrieben wurden, aber immer wieder zuschnappen. Der Unterschied zwischen geschliffen und geschleift ist so eine: „Der Lift stoppte darauf nicht. Die Frau wurde 175 Meter weit und mehr als eine Minute lang mitgeschliffen und am Hals stranguliert“ (13.11.). Die Frau wurde keineswegs geschliffen, wie man Messer und Schere schleift, sondern geschleift.

Auch beim Wort kosten sollte Alarm ertönen. Die Weihnachtsgeschenke kosten mich (Akkusativ) und nicht mir vielleicht viel Geld. Im folgenden ersten Satz stimmt der Akkusativ, im zweiten verwandelt er sich fälschlich in einen Dativ: „Inaktive Studenten würden die Unis nicht viel kosten. Abgebrochene Uni-Karrieren dem Steuerzahler hingegen schon“ (24.11.).

Zur ältesten, aber noch immer nicht verbreiteten Weisheit gehört der Akkusativ hinter dem Wort lehren. Hier steht fälschlich der Dativ: „Aus dem Stand heraus sollen die ,Recken‘ den globalen Giganten der Autoindustrie das Fürchten lehren“ (11.11.). Wenn unnötige Anglizismen aufgeboten werden, freut mich das wenig. „Juli Zehs neuer Roman ist nach allen Regeln eines Thrillers gebaut, ein Pageturner, wie man ihn kaum besser konstruieren kann.“

Mein Wörterbuch ist zwar kein Pageturner, ich schaue aber nach, welche Bedeutung das bei uns ungebräuchliche Vokabel „bräsig“ in Norddeutschland hat: „Sich bräsig auf der gerühmten Lebensqualität auszuruhen, wird nicht reichen“ – wie wahr, wenn man weiß, dass bräsig schwerfällig oder altmodisch bedeutet (24.11., „Spectrum“).

***
Juristen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sind, wenn sie bei aller Unschuldsvermutung doch einem Verdacht der Untreue nachgehen, zu eleganten Wortschöpfungen fähig, wie in der „Presse“ nachzulesen ist: In einer Sachverhaltsdarstellung heiße es, es sei „nicht auszuschließen, dass die Gesellschaft WW Holding AG widerrechtlich um 3,12 Millionen Euro entreichert wurde“ (27.11.).

Die direkte Demokratie steht vor Österreichs Pforten, und manche Bürger werden allein beim Lesen des Konjunktiv-Aufmachers „Worüber wir abstimmen könnten“ ein mulmiges Gefühl haben (25.11.). Vielleicht ging es sogar den zwei Autoren ähnlich, die einen genialen imperativen Möglichkeitssatz formulierten: „Gemeinsam ist allen Plänen, dass nicht über alles abgestimmt werden können soll.“

Ein altersgerechter Bau wurde mit dem Preis für vorbildliches Bauen in Niederösterreich ausgezeichnet. Im Immobilienteil der „Presse“ wird er mit lockerer Überschrift als „Der introvertierte Pavillon“ ausgeschildert. Introvertiert scheinen auch künftige Bewohner zu sein. „Außerdem war den Hausherren eine – auch optische – Begrenzung zu den Nachbarn wichtig, Haus und Garten sollten uneinsichtig sein.“

Da ist eine kleine Korrektur angebracht. Möglich, dass Introvertierte auch uneinsichtig sind, nicht aber das Grundstück. Liegt es hinter dichten Büschen, ist es nicht einsehbar, aber deshalb nicht uneinsichtig.

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.