Spiegelschrift

Die Direktdemokratie in der Lernphase

Mehrheiten. Die Raucher scheinen überrollt zu werden. Aber repräsentieren die bisher 460.000 Unterschriften schon die Mehrheit?

Ein gewisser Ballawatsch zeigt sich zunächst im politischen Raum, weil sich die beiden Koalitionsparteien mit ihrem Bekenntnis zu mehr direkter Demokratie bei gleichzeitiger Abschaffung des Rauchverbots wechselseitig verstrickt haben. Vielleicht wachsen sie sich noch zu einer Laokoon-Gruppe aus. Aber muss nicht auch das Volk einiges lernen, ehe es die Stimme erhebt?

Ich habe möglicherweise vorschnell für das Rauchverbot gestimmt, sehr bequem online und vom Schreibtisch aus, und nicht einmal primär aus den gesundheitlichen Überlegungen der Ärztekammer heraus, weil ich meine, dass jeder selbst für seine Gesundheit verantwortlich ist. Viel klarer erkenne ich meine subjektive Rauchphobie, wenn mich der Rauch der anderen in den Augen beißt und die Luft im Lokal stickig ist.

Nachträglich und nachdenklich folge ich lieber der „Presse am Sonntag“. In ihrem Leitartikel mit der Überschrift: „Was das Volk will“ befasst sie sich mit der Forderung nach Verschärfung des schon verschärften Sexualstrafrechts, wobei die „Stimmung im Volk“ ein wichtiges Argument abgibt (11. 2.). „Zusammengefasst heißt das“, schreibt die Zeitung, „auch wenn die Experten nicht wollen, das Volk will. Aber stimmt das? Wollen wir? Weil das Bauchgefühl sagt: Eh klar, ,null Toleranz‘ für Gewalt- und Sexualstraftäter, was sonst? Nein, so klar ist es eben nicht . . . Ein weiterer Grund, warum Alltagsdebatten nicht als Grundlage für Grundsatzreformen taugen: Sie schwanken. Stark. Auch die Sympathie für Opfer ist volatil.“

Habe ich als Rauchverbotsforderer die Gasthaus-Eigentümer verraten, die riskante Investitionen in die Trennung von Raucher- und Nichtraucherabteilungen tätigten? Habe ich seit meiner eigenen Raucherperiode in jungen Jahren (Smart Export und Falk) schon vergessen, dass in der Gemeinsamkeit des blauen Dunsts eine Menge Beziehungssignale schweben? Und verdränge ich, dass Gruppen von Rauchern, die sich heute wie Vertriebene in einer zugigen Toreinfahrt sammeln und mit ihren Tschicks optisch den Eindruck von sozialen Absteigern machen? „Sympathien für Opfer sind volatil.“ Möchte ich wirklich den Bundespräsidenten ertappen, wie er sich auf der Lakaienstiege der Hofburg eine hineinzieht?

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Die Raucherfrage ist eine von nicht oder schon. Für den journalistischen Sprachgebrauch muss man vor dem Glauben warnen, dass ein Nicht im Satz automatisch eine Verneinung bedeutet. Hier nämlich hat der Versuch das Gegenteil bewirkt: „Gleichzeitig muss er (Michael Ludwig) sich davor hüten, nicht an denselben Fehlern zu scheitern, wie jenes Lager, das er gerade besiegt hat“ (3. 2.).

In die Hand kann man spucken, aber nicht etwas halten, wie angeblich die SPD: „Denn die politischen Schicksale von Schulz, aber auch von Merkel und Seehofer haben nun die SPD-Mitglieder in die Hand“ (8. 2.).

Ähnlich auch hier über den Reichtum der Familie Horten: Der Ursprung dieses Reichtums „basiert schließlich auf die Vertreibung und Ermordung jüdischer Kaufhausbesitzer (16. 2.). Er basiert auf der Vertreibung.

„Kosmetika mit Plastikpartikel“ dürfen in Schweden nicht mehr verkauft werden (14. 2.). Die Plastikpartikel sind gewiss im Plural, weil ein Partikel allein noch nicht schön macht. Weshalb ihnen in einem Untertitel das Dativ-n fehlt. Genauso fehlt es den Beziehern von Grundversorgung: „Ende 2017 waren noch rund 61.000, Ende 2015 und im Jahr 2016 waren es 80.000 – bis hin zu einem Spitzenwert von 90.000 Bezieher“ (6. 2.).

Noch ein Dativ: „In den Bergen wird es, begleitet von kräftigen Wind, eiskalt“ (21. 2.).

Durch Wiens reizende Innenhöfe kommt man mitunter gar nicht durch. Unter einer Planskizze wird der Margaretenhof als idyllische, wenn auch nicht offizielle, Abkürzung von der Margaretenstraße 86 in die Pilgramgasse verwiesen (17. 2.). Theoretisch, denn die Gittertore sind mit Zylinderschlössern versperrt, „Durchgang verboten“.

Wenn kein Platz mehr ist, lässt man das Hilfszeitwort weg? „Gerodelt, wenn auch auf eher kleinen Hängen, kann auch in zahlreichen Parks“ (21. 2.).

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Eine interessante sprachliche Neuerung wird sich nicht durchsetzen: „Die Presse“ kündigt im Vorspann ein „Porträt vierer Menschen“ an (11. 2.). Ein Porträt zweier Menschen wäre durchgegangen, Aber ein Vierer wird eher in einem Zeugnis und mit Großschreibung vorkommen (11. 2.).

Der Begriff „abfeiern“ ist derzeit hoch im Kurs. In ihm steckt auch die Bedeutung „verabschieden“, sodass er nicht immer passend ist, so etwa für Bundeskanzler Sebastian Kurz, der „selbst in der Boulevardzeitung groß abgefeiert“ worden sei (10. 2.). Für die Verabschiedung des Faschings trifft das Wort zu: „Auch der Fasching wird in diesen Ferien ordentlich abgefeiert.“

Im Möbelbau wirkt der Begriff wunderlich, die journalistische Sprache soll im Zweifel sachliche Aussagen vorziehen: „Als hätte man beim Thema Holz schon sämtliche Handwerkskünste abgefeiert“ (26. 1.).

„Der schwere Tritt aus Häupls Schatten“ lautet eine große Überschrift (16. 2.). Mit einem Schritt statt Tritt würde die Aussage weniger gewaltsam klingen.

Im Nachruf für Werner Welzig ist von einer Akademie der Wissenschaft die Rede. Eine solche gibt es nicht. Sie heißt Akademie der Wissenschaften. Dass Welzig deren langjähriger Präsident war, wird nicht einmal erwähnt (28. 2.).

„Geräucherte Milch ist länger haltbar“, behauptet „Wissen“(16. 2.) Gibt es geräucherte Milch? Natürlich nicht, aber die Massai reinigen in Kenya die als Milchgefäße gebrauchten hohlen Flaschenkürbisse mit glühenden Holzspänen. Hitze und Rauchinhaltsstoffe bilden einen Kontaminationsschutz, wodurch die neuerlich abgefüllte Milch weniger Keime enthalte. Sie bleibe länger frisch, ist aber nicht „geräuchert“.

Hots Dogs und Kunst lautet ein Titel. Wenn die Dogs im Plural stehen, bleibt das Attribut Hot unverändert im Singular. Im Text steht richtig Hot Dogs.

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Als Olympia-Fan kann ich mich nicht ausgeben. Die Spiele sind mir zu imposant und zu verwirrend. Jedes Mal horche ich aber neugierig auf, wenn Sportler im medialen Geplauder philosophische Töne anschlagen, was nicht heißen muss, dass ich alle ihre Ansichten teile. Der einstige amerikanische Skirennläufer und Olympia-Kombinationssieger 2010, Bode Miller, kommentierte diesmal für NBC und kam laut „Presse“ auf die Knieverletzung der Österreicherin Anna Veith (vormals Fenninger) zu sprechen, die in Südkorea die Goldmedaille um eine Hundertstelsekunde verpasst hat. Er erklärte: „Das Knie ist sicher ein Thema. Aber ich will auch betonen, dass sie geheiratet hat. Und historisch gesehen ist es schwierig im Weltcup, wenn man eine Familie hat und verheiratet ist“ (16. 2.). Einfach gesagt: Eine Heirat droht eine Spitzenrennläuferin mehr zu behindern als eine schwere Knieverletzung.

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2018)

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