Spiegelschrift

Die neuen Minister: Wer sind sie, wie heißen sie?

Neue Garnitur. Kennen Sie die Regierungsmitglieder schon mit Namen? Nach hundert Tagen Begegnung via TV wird es Zeit. Üben, üben, üben!

Wer war nun gleich Hubert Fuchs?“, fragt ein Redakteur mit gefurchter Stirn (24. 3.). Denn wer kennt schon den Staatssekretär im Finanzministerium? „Die Presse“ bot in ihrem Online-Angebot bereits eine Art heiteres Ministerraten an, und zwar der Minister der vergangenen 30 Jahre. In dieser Auswahl stoßen zwei Welten aufeinander.

Unter den verflossenen Dienern der Republik finden sich politische Marathonläufer, Kurzzeitminister und Sesselkleber, aber zu ihrer aktiven Zeit kannten wir sie alle wie die Möblage im eigenen Heim. Wer identifiziert Rudolf Edlinger, Wilhelm Molterer und Maria Fekter heute noch auf Anhieb als ehemalige Finanzminister?

Gute drei Monate nach der Regierungsbildung müssen wir die meisten im Amt befindlichen Minister sogar erkennungsdienstlich behandeln, weil die gesamte Riege der Kabinettsmitglieder schlagartig durch Neulinge ersetzt worden ist. Der Einschnitt wirkt psychologisch so tief, weil mit der Nationalratswahl der bisherige Bundeskanzler und SPÖ-Chef, Christian Kern, samt Personal in den Hintergrund geschoben wurde und zahlreiche Politiker geringeren Rangs, ja sogar zwei Parlamentsparteien samt Parteiführern mit hohem Bekanntheitsgrad verschwanden. Mühsam lernen wir die Neuen kennen, prompt irrt sogar „Die Presse“.

Sie nennt an dem Tag, an dem der Generalsekretär des Verteidigungsministeriums sein Foto in allen Kasernen aufhängen möchte, eine Verteidigungsministerin Maria Kunasek (15. 3.). Die Frauenquote hat jedoch die Spitze des Bundesheers noch nicht erobert, der Verteidigungsminister heißt nicht Maria, sondern Mario Kunasek, ich habe das soeben überprüft. Ministerraten ist ein interessantes Quiz, manchmal mit namentlichen Ungereimtheiten wie hier über das Sozialministerium: „Helena Guggenberger, Ehefrau von Akademikerball-Organisator Udo Guggenbichler, soll Generalsekretärin werden (26. 3.). Wie heißt sie und wie das Ehepaar?

Die Geschichte lehrt: Wir erleben möglicherweise erstmals in der Zweiten Republik einen personalpolitischen Umsturz.

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Einen Einspaltertitel und ein paar Druckzeilen hätte die Zeitung am Palmsonntag-Wochenende für die Umstellung auf Sommerzeit schon spendieren können (24. 3.). Die halbjährliche Manipulation der Tageszeit ist zwar nicht aufregend, eine Notiz darüber gehört aber zur Vollständigkeit.

Gravierender wäre eine Informationslücke im Zusammenhang mit der Ermordung der jüdischen Frau Mireille Knoll in Paris. In Korrespondentenberichten der „Presse“ ist ohne näheren Hinweis von „mutmaßlichen Tätern“ die Rede (28. und 29. 3.), während laut „FAZ“ die französische Staatsanwaltschaft gegen zwei junge Männer mit nordafrikanischen Wurzeln ein Strafverfahren wegen vorsätzlicher Tötung mit antisemitischem Hintergrund eröffnet habe. Das wäre ein wesentlicher Aspekt in der Diskussion über allgemein beklagte „antijüdische Aggressionen in Frankreich“.

Die wochenlange Auseinandersetzung um eine Geheimdienstaffäre, die niemand versteht, wird von der „Presse am Sonntag“, die offenbar auch schon genug davon hat, auf die Seite „Ausland“ abgeschoben, so als könnte man sie ausquartieren (13. 3.).

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Wie so oft geht es auch dabei um Computer und seine gespeicherten Inhalte. Es muss nicht immer böser Wille sein, wenn aus einem Computer ein altes Geheimnis auskommt. Sogar die Festplatte der Redaktion lässt manchmal ein Mysterium entweichen. Dann verkündet die Zeitung in ihrem Veranstaltungskalender vom 19. März 2018: „Schallaburg: Byzanz und der Westen (bis 11. 11. 2017)“.Ziemlich spät dran ist sie damit. Ich ergänze für alle Interessierten: Die Ausstellung „Byzanz & der Westen. 1000 vergessene Jahre“ ist tatsächlich ein wertvoller Tipp für das heurige und nicht das vorige Jahr. Sie läuft bis Mitte November.

Die Überschrift „Gäste kreisten über Wien“ ist so nichtssagend wie der Inhalt des Artikels wolkig (21. 3.).

Schon in der vorigen „Spiegelschrift“ warnte ich vor der Verwechslung der Bindewörter und und oder. „Dieses Wochenende eröffnen die Ostermärkte, zum Beispiel in Schönbrunn, auf der Freyung oder im Schloss Hof“ (18. 3.). Die genannten Ostermärkte sind eine reine Aufzählung, deren Namen mit und zu verbinden wären. Die Konjunktion oder drückt laut „Duden“ jedoch aus, dass von zwei oder mehreren Möglichkeiten nur eine zutreffen muss. Demnach müssten also gar nicht alle aufgezählten Ostermärkte eröffnet sein, was in der Realität zum Frust von Besuchern führen würde.

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Regisseur Luk Perceval sagt im „Presse“-Interview: „Ja, es gibt sogar Leute, die lesen den Text während der Vorstellung im Reklamheft mit“ (9. 3.). Er wird ein Reclam-Heft gemeint haben.

„Parlamentsvertreter aus allen Ecken Europas fordern die proaktive Veröffentlichung von Dokumenten aus den Sitzungen der EU-Regierungsvertreter“, heißt es in einem Untertitel (2. 3.). Frage: Was unterscheidet eine proaktive Veröffentlichung von einer Veröffentlichung?

„Willkommen bei den Sch'tis“ sei in Frankreich nicht zuletzt wegen ihrer zärtlichen Ironie und einem unweigerlichen Witz die bisher erfolgreichste Filmkomödie (20. 3.). Vielleicht ist der Witz zwar nicht unweigerlich, aber unwiderstehlich?

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„Am 25. Juni übernimmt die 33-jährige gebürtige Irakerin Saya Ahmad (SPÖ) als Wiens erste Bezirkschefin mit Migrationshintergrund den Vorsitz am Alsergrund“ (14. 3.). Das ist korrekt, aber dass sie eine Kurdin ist, wäre mindestens so erwähnenswert wie ihre Geburt im Irak.

Danken muss man der Zeitung dafür, dass sie sich regelmäßig gegen Ansätze zum Gesinnungsterror wehrt, der uns vorschreibt, was wir denken und sagen dürfen oder nicht. Also kritisiert „Die Presse“ frühzeitig den Suhrkamp-Verlag, der einen seiner eigenen Autoren für Äußerungen maßregelte, die sich irgendwie nicht gehören sollen. (13. 3.). Denn, sagt „Die Presse“: „Würden Verleger Schriftsteller als Botschafter ihrer eigenen politischen Meinungen sehen, dann würde die Verlagslandschaft bald nur noch aus ,rechten,‘ ,rechtsrechten‘, ,linken‘, ,linkslinken‘, vielleicht auch ,linksrechten‘, ,liberalen‘, ,libertären‘ oder sonst wie etikettierten Missionshäusern bestehen. Als ob es davon nicht schon genug gäbe.“

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„Lump“ ist ein traditionsreiches Wort unserer Muttersprache. Die Mehrzahl von Lump lautet Lumpen, zumindest heutzutage. „Die Presse“ hat recht, dass Goethe schrieb: „Nur die Lumpe sind bescheiden, Brave freuen sich der Tat“ (22. 3.). Im Spätmittelhochdeutschen waren Lumpe Menschen in zerlumpter Kleidung. Die Grammatik kann sich mit ihnen allmählich verändert haben.

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2018)

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