Das erinnert an Taschengeld-Kürzungen für Kinder

(c) Peter Kufner
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Flüchtlinge sollen weniger Mindestsicherung für schlechtes Deutsch bekommen. Dabei ist Bestrafung in diesem Fall keine Motivation, findet Kerstin Kellermann.

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"Ich habe einen Hörfehler. Ich kann mich in die deutsche Sprachmelodie einfach nicht hineinhören“, erklärt eine arabische Frau, die gerade zum zweiten Mal beim Deutschtest durchgesegelt ist. Auf den Vorschlag, mit Hörbüchern aus der Bücherei zu üben, auf denen Gedichte deutlich ausgesprochen werden, reagiert sie erstaunt. „Lyrik? Was ist das?“ Nach der arabischen Übersetzung durch das Smartphone strahlt sie. Die Syrerin hat immer wieder Herzrasen. Während des Kriegs und auf der Flucht unterdrückte sie ihre starken Gefühle, und diese drängen nun in Friedenszeiten munter heraus.

Weniger Mindestsicherung für diejenigen, die schlecht Deutsch können, hat u. a. der ehemalige Rot-Kreuz-Angestellte und VP-Klubobmann August Wöginger durchgesetzt. Ist es nicht normal, dass man in Kriegsgebieten kein Deutsch gelernt hat? Als Asylsuchende erhalten die Menschen keine Deutschkurse, aber als anerkannte Flüchtlinge sollen sie es schon können. Eine Zwickmühle. Es sind gerade die extrem traumatisierten Flüchtlinge, die sich schwertun. Beim Sprechen sowieso, aber auch bei der Aufnahme neuer Erfahrungen. Sie sind innerlich zum Platzen voll. Die Gesprächstherapiewartelisten sind ewig lang.

Strafen sind existenzbedrohend

Ein Flüchtling aus Ruanda, der Studentenführer war, sehr eloquent. Seit der Ankunft in Wien stottert er bzw. bekommt kein Wort heraus. Dieser freundliche Mann ist der einzige Überlebende aller Passagiere eines Autobusses. Er wurde als Einziger zur Seite geführt, da einer der Mörder sein alter Schulkamerad war. Er musste aber mitansehen, wie alle anderen Insassen erschossen wurden. Seitdem kann er nicht mehr „gscheit“ reden. Vier Jahre lang wartete der Ruander auf Asyl. Bei der erneuten Asyleinvernahme des Flüchtlings war ich dabei. In der Pause nahm ich die Fotos auf dem Tisch in die Hand. „Sie dürfen diese Fotos nicht ansehen“, schnauzte mich der Richter an. „Wer ist das überhaupt auf dem Foto? Sein Opa?“ „Nein, das ist nicht sein Opa, sondern seine Oma, die im Gefängnis sitzt, weil die Verantwortlichen glauben, den Enkel auf diese Weise zu erwischen.“ Der Richter donnerte mit der Faust auf den Tisch: „Asyl!“

„Schattensozialminister“ Wöginger setzt begeistert derart drastische Strafmaßnahmen durch, die für nicht wenige Flüchtlinge mit hohen Wohnkosten existenzbedrohend sind. Eine schriftliche Antwort des Pressesprechers der Sozialministerin zeigt, dass die Flüchtlinge, bis hin zur nachgewiesenen Vermittelbarkeit durch das AMS, weniger Mindestsicherung als bisher erhalten. Dass Menschen aus Kriegsgebieten klarerweise kein Deutsch können, wenn sie nach Österreich kommen, wird unterschlagen. Bis Flüchtlinge einen Arbeitsplatz haben, werden sie auf unter Existenzminimum gesetzt.

Strafen mögen bei weniger traumatisierten Menschen motivierend wirken, doch nicht einmal bei Kindern funktioniert diese altmodische Methode: Schlecht in der Schule, weniger Taschengeld. Was kommt als Nächstes: Zimmerarrest? Die Forderung danach gibt es schon.

Kerstin Kellermann ist Journalistin und Kuratorin in Wien. Festivals und Ausstellungen zum Thema „Holocaust“ bzw. „Flucht“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2019)

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