Wo Ex-Minister Hofer falsch liegt

Norbert Hofer reagierte auf einen „Presse“-Text über den Zustand der ÖBB. Verkehrsexperte Knoflacher antwortet ihm.

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Im Jahr 1889 veröffentlichte Eduard Lill eine Kurzfassung seiner Dissertation „Die Grundgesetze des Personenverkehrs“ in der „Zeitschrift für Eisenbahnen und Dampfschifffahrt“ und das dabei abgeleitete Lill'sche Reisegesetz, welches die Zahl der Reisenden zwischen zwei Orten von reiserelevanten Eigenschaften der Orte und der Reisedistanz erklärt.

Die Zahl der Reisenden ist reziprok zur Reiseweite oder einfacher: Im Nahverkehr liegt die Masse der Fahrgäste, der Fernverkehr ist quantitativ von geringerer Bedeutung. Man kann die Zahl durch Fahrzeitverkürzung und Preisreduktion beeinflussen. In der Realität kostet aber beides Geld, das die Steuerzahler aufzubringen haben.

Lill hat damals erkannt, was der ehemalige Infrastrukturminister Norbert Hofer (FPÖ) noch immer nicht verstanden hat: Dass die Eigenschaften der Orte die Zahl der Reisenden beeinflussen. Die Eigenschaften der Orte verändern sich derzeit für die Autonutzer zunehmend. Es gibt verstärkte Überwachung, Tempolimits, Gebühren für das Abstellen und Fahrverbote aus verschiedenen Gründen. Pendler müssen ihr Verhalten ändern und teilweise auf die Bahn ausweichen. Auch der Radverkehr kommt durch die Initiativen der Gemeinden langsam wieder in Schwung. Direktvergaben für öffentliche Verkehrsdienstleistungen sind, wie in einem Beitrag von Matthias Auer („Regierung Bierlein im ÖBB-Dilemma“, „Die Presse“ vom 3. 7. 2019) angeführt, aber auch eine Frage des Subsidiaritätsprinzips der EU, das sie ständig bricht, weil es sich die Länder gefallen lassen.

Diesbezüglich ist die Position von Hofer in seiner Replik auf Auers Text („Bahnversorgung nicht den Rosinenpickern überlassen“, „Die Presse“ vom 13. 7.) sachlich berechtigt. Angesichts der Dynamik im Verkehrswesen ist allerdings eine Vergabe für 15 Jahre, wie sie von Beamten des Ministeriums gefordert wird, zwar ein bequemes Ruhekissen für Konzerne, aber leichtfertig, ja verantwortungslos gegenüber Budget, Staat und Staatsbürger. Zwei bis vier Jahre sollten unter diesen Bedingungen die zeitlichen Grenzen sein. Man will ja eine Dynamik.

Rosinenpicker Tunnellobby

Da die Eisenbahn bekanntlich nur über Bahnhöfe erreichbar ist, kann sie daher vor allem durch mehr Bahnhöfe, Angebote im Nahverkehr sowie Fahrplanabstimmung Fahrgäste und Güter gewinnen. Auch sollte man wissen, dass es im Verkehrssystem keine Zeiteinsparung durch Geschwindigkeit gibt. Tunnelgroßprojekte, wie sie Hofer anführt, sind nachweisbar Fehlinvestitionen auch für den Klimaschutz. Auch da liegt der Ex-Minister falsch. Bei seinem „Blick über die Grenzen“ ist ihm entgangen, dass Österreich im Osten über die Tschechische Republik, die Slowakei, Ungarn und Kroatien umfahren wird, weil sich diese Länder auf die attraktive Flachlandverbindung geeinigt haben. Im Westen haben die Schweizer mit Deutschland und Frankreich Verträge und Projekte für die Zulaufstrecken in Arbeit. Die österreichische Verkehrspolitik investiert in Tunnellöcher, die keine Fortsetzung haben, und wird daher vom Ausland milde belächelt, um es höflich auszudrücken.

Rosinenpicker sind in Österreich die Vertreter der Tunnellobby, die mithilfe der Verkehrsminister und bestellter falscher Gutachten jedes noch so sinnlose Loch bewilligt bekam und einen riesigen Schuldenberg der Bevölkerung hinterlässt, abgesehen von der enormen Erhöhung der Betriebskosten. Auch dagegen hat Ex-Minister Hofer während seiner Amtszeit nichts unternommen.

Hermann Knoflacher (*1940) ist Internationaler Verkehrswissenschaftler und als Berater von Ministern, Regierungen, EU-Kommission und der WHO engagiert.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2019)

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