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Im Ibiza-Spinnennetz: Es gibt so viel zu erzählen

Peter Kufner
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Wer hängen bleibt. Kaum jemand erinnert sich, wie das alles begann. Was haben Glücksspiel und SPÖ-Absturz mit dem Video aus Ibiza zu tun?

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Es herrscht ein Drang, darüber den ersten Band einer neuen „Propyläen Weltgeschichte“ zu produzieren. Der ORF lieferte schon während der Wahlkampfwochen fast regelmäßig etliche Seiten, wenn sich politische Diskussionsrunden bildeten. Das war auch für die Diskutanten eine Grundlage von Fakten, ohne dass diese zwingend zu konkreten Schlussfolgerungen führten. Inzwischen häufen sich Zusatzthemen: Sportbeutel, die mit Banknotenbündeln gefüllt sind, Ukraine-Connections, Schätzungen, wie viele Millionen Euro ein Abgeordnetenmandat im EU-Parlament wert ist. Sind das spannende Krimis, postsowjetische Verschwörungen oder bloß ehrlich gemeinte Gaunereien? „Ibiza, der Film: Was bisher geschah“ (8. 12.). „Die Presse“ forscht für ihre Sonntagausgabe (nur dort gibt es genügend Platz und Gehirne, die nicht durch Sekundentakt-Aktualitäten zerrieben werden), während in Cyberkonzernen bestenfalls Algorithmen zusammengeleimt würden. Eine sorgsame Zusammenschau folgt auf dieser Seite.

Mitte November geht es noch um die „Dokumentation eines Postenschachers“ (18. 11.), am Monatsende um den „vorerst“ gescheiterten Putsch gegen SP-Chefin Pamela Rendi-Wagner (30. 11.). Den Dezember leitet eine freundlich komponierte Doppelseite über „Die Jahre, als Wien wieder Metropole wurde“ ein (1. 12.). Sie erlaubt eine sinnvolle Lektüre über eine Großstadt, die auf eine heikle und vielleicht sogar brisante Landtagswahl zusteuert.

Geradezu beunruhigend ist die Verschiebung der Reform des Wiener Krankenanstaltenverbunds (21. 11.). Der „Presse“-Kommentar lautet: „Der KAV hat keine Rechtspersönlichkeit, keine Budget- und Personalhoheit. Eine Zwitterstellung, die spätestens dann, wenn es wie in diesem Fall um die Steuerung eines millionenschweren Gebildes geht, wirtschaftlicher Wahnsinn ist. Mit 1. Jänner 2020 sollte sich das ändern, so das Versprechen. Es wird gebrochen werden. Stadtrat und Wiener SPÖ sind vor der Gewerkschaft in die Knie gegangen. Die will alles, nur nicht den bequemen Status der Gemeindebediensteten im KAV verlieren. Verständlich. Unverständlich, dass die SPÖ dem nachgibt. So wird das nichts, Wiener SPÖ!“

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Aber Innenpolitik ist keineswegs alles, und „Die Presse“ liefert von Außenpolitik bis Kultur und Sport, was zur breiten Information hilfreich ist. „In Erdoğans Kerker“ ist interessant für alle, die eine Türkei-Reise überlegen und aus der „Presse am Sonntag“ detailreich erfahren, wie ein österreichischer Staatsbürger mit kurdischen Wurzeln, ohne dass er sich etwas zuschulden kommen ließ, während einer Geschäftsreise für vier Monate ins türkische Gefängnis gesperrt wurde (8. 12.). Einzige Lösung: Reisepläne rechtzeitig überarbeiten!

Der britische Premier, Boris Johnson, populistisch, wie er ist, habe „sofort mit Beginn des Wahlkampfs alle Bemühungen darauf ausgerichtet, das Lager der EU-Gegner hinter sich zu scharren“ (7. 12.). Wo hat er sie ausgescharrt? Sie werden sich leider wirklich hinter ihn scharen, falls ihnen nichts Klügeres einfällt.

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Konrad Pesendorfer, bisher Chef der Statistik Austria, steht für eine weitere Amtsperiode nicht zur Verfügung, berichtet „Die Presse“. In solchen Fällen wäre auch die Angabe seines Alters interessant (27. 11.).

„Peter Hacker ist einer jenen neuen Stadträte, denen besonderer Schwung und Durchsetzungskraft zugetraut wurde“. Hacker ist wohl einer jener Stadträte oder einer von jenen Stadträten (21. 11.)
Altbekanntes aus der Drill-Kiste: „Der grüne Hype ist am Höhepunkt, das kostet der SPÖ viele Wähler“ (18. 11.). Was jemanden etwas kostet, verlangt den Akkusativ.

„Diese Wachposten (vor Notre Dame) können einem das Fürchten lehren“ (24. 11.). Lehren braucht ebenso den vierten Fall: Wachposten lehren mich und nicht mir das Fürchten.

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Ich setze mich seit jeher dafür ein, dass Besonderheiten der österreichischen Sprache im übermächtigen deutschen Sprachraum nicht aussterben, sondern unter Artenschutz gestellt werden. Als ich jüngst erinnerte, dass der 24. Dezember hierzulande der „Heilige Abend“ sei und nicht so wie in Deutschland „Heiligabend“ heiße, ereilte mich eine keinesfalls schmerzliche, sondern eher heitere Replik eines auf diese Literaturform abonnierten Kollegen. Er schreibt unter anderem: „Das Gemeine ist, dass beide Formen richtig sind. Nur gibt es keine Grenzkontrolleure zwischen diesen beiden Ländern, die Germanismen oder Austriazismen die Einreise verweigern würden. Aber mit Logik hat all das ohnehin nichts zu tun.“ Er hat recht, aber nicht in dem Sinn, dass man ein austriazistisches Kleinod den Bach hinunterschicken soll.

Grenzwächter für solchen Tauschhandel kann es nicht geben, wohl aber eine Sensibilität der Kulturschaffenden; zu denen auch die 171 Jahre alte Zeitung „Die Presse“ zählt. Das gilt auch für die Austria Presse Agentur (APA), die 2005 unter dem Chefredakteur Wolfgang Mayr das Kapitel „Österreichische Sprache“ erarbeitete und in ihr Redaktionshandbuch eingliederte, denn: „Die APA hat als nationale österreichische Nachrichtenagentur eine identitätsstiftende Funktion, womit ihr auch die Pflege österreichischer Sprachbesonderheiten ein Anliegen sein muss.“ Also wird ein Schrank hierzulande weiterhin Kasten genannt werden, auch wenn die deutschen Nachbarn dabei eher an einen Kasten Bier als einen Kleiderschrank denken. Und die „Sitzkassiererin“, die im Zusammenhang mit dem Simpl in der „Presse“ erwähnt wird, müsste Österreichisch „Sitzkassierin“ genannt werden (27. 11.).

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„Adventus ist lateinisch und heißt warten“, behauptet die Zeitung am ersten Adventsonntag in einer Bildunterschrift (1. 12.). Also wenn schon übersetzt wird, dann bitte genau. Advent kommt vom lateinischen „adventus“ und bedeutet Ankunft, abgeleitet vom Verb „advenire“, ankommen.

Bei der härtesten Offshore-Regatta werde erstmals ein rot-weiß-rotes Boot am Start stehen. Aber wie üblich fehle dazu „ein großer Patzen Geld“ ( 24. 11.). Einen Patzen gibt es nicht, höchstens Patzer in Schularbeiten. Was wirklich fehlt, ist ein Batzen Geld. Der Dialektausdruck ist bayrisch-österreichisch verankert und soll es bleiben.

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Die Salzburger Stiftung Mozarteum erwarb einen derb formulierten Brief, den Mozart 1977 geschrieben habe, meldet „Die Presse“ (6. 12.). Im Datum wird sich Österreichs Musikstar kaum geirrt haben. Wer dennoch meint, dass der 1791 verstorbene Mozart im Jahr 1977 von irgendwo drüben eine Botschaft an uns Zeitgenossen adressiert hat, kann eine Untersuchung mit forensischen Methoden verlangen. Das Mozarteum erwarb mit dem Schreiben auch eine Mozartlocke, schlicht „Haarbüschel“ genannt und vielleicht schon zum Engelshaar aufgewertet. Damit könnte man Mozarts irdische Lebenszeit zumindest auf ein Jahrhundert genau ermitteln.

Der Autor

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist und Mitbegründer der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2019)

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