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Besser würfeln als rechnen: Mathe-Tests für Gestresste

(c) Peter Kufner
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Äpfel, Birnen, Prozente. Wie genau etwas Genaues ist, darüber lässt sich nach Redaktionsschluss bei einem Glas Roten locker plaudern.

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Es ist echt leserfreundlich, dass die Zeitung zu wichtigen Themen auch Basisdaten oder bildhafte Vergleiche hinzufügt. „Die Presse“ stellt zum politischen Report über die burgenländische Landtagswahl das Bruttosozialprodukt (BSP) des Bundeslandes dazu und behauptet, es belaufe sich auf 8,7 Millionen Euro („Presse am Sonntag“, 26. 1.). So arm ist das Burgenland längst nicht mehr. Das Sozialprodukt ist tausendmal so hoch und beträgt 8,7 Milliarden Euro.

Und wie viele Burgenländer waren wahlberechtigt? Ein kniffliger Vergleich soll das Rechnen ersparen. „Die Zahl der Wahlberechtigten entspricht der Einwohnerzahl des (nicht einmal größten) Wiener Bezirks Donaustadt“, schreibt „Die Presse“ im Kommentar (28. 1.). Der 22. Bezirk hat 191.000 Einwohner, wahlberechtigt waren im Burgenland jedoch 250.181 Personen, also deutlich mehr Burgenländer als Donaustädter. Wobei man sich auch fragt, warum Äpfel mit Birnen, nämlich die Zahl der burgenländischen Wähler mit einem allgemeinen Wiener Bevölkerungssegment, verglichen werden. Wahrscheinlich hätten trockene Zahlen auch genügt.

In der Umfrage „FPÖ stürzt in Wien ab“ wimmelt es von Prozentangaben ohne Unterscheidung zwischen Prozent und Prozentpunkt (31. 1.), womit das Informationspaket undurchschaubar bleibt. Übrigens: „Dietrich Kops war im Dritten Geschäftsführender FPÖ-Chef“ (18. 3.). In was für einem Dritten?

„In den vergangenen 25 Jahren hat sich die Zahl der Schüler, die auf Skikurs fahren, mehr als halbiert“, stellt der Economist fest und überschreitet die Grenze zur Relativitätstheorie (2. 2.) Was geschieht beim Halbieren? Man teilt einen Kuchen in die Hälfte, und weil es weder eine größere noch eine kleinere Hälfte gibt, kann man auch nicht „mehr als halbieren“. Weniger auch nicht.

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Mit Brexit wird der riesige Aufwand benannt, mit dem es die Briten nach dreijährigem politischen Tumult schafften, in der „Presse“-Ausgabe „Goodbye!“ auf 30 Seiten aus einem Kernland der EU noch immer fair bis freundlich behandelt zu werden (31. 1.)

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Kaum sind Weihnachten und Neujahr vorbei, bereitet sich das Sportressort auf die Skihöhepunkte vor und hat Sorgen – Marcel Hirscher wird Rot-Weiß-Rot nicht mehr retten. „Bangen ist die neue Normalität“, lautet ein Titel (10. 1.) Darin findet sich auch die richtige Behauptung: „Und plötzlich mischen Speedfahrer wie Aleksander Kilde und Dominik Paris wieder im Rennen um die große Kugel mit.“ Der Norweger Kilde und der Weltmeister aus Südtirol Dominik Paris sind eine ernsthafte Konkurrenz für die Österreicher. Ein paar Tage vergehen, plötzlich alarmiert die APA: „Saisonende für Streif-Favorit Paris nach Kreuzbandriss“ (21. 1., 18.54 Uhr). Jedoch, „Die Presse“ ist auf die Rennen in Kitzbühel und auf der halsbrecherischen Streif mit einer Serie kompakter Kitzbühel-Druckseiten offenbar so gut vorbereitet, dass unerwartete Neuigkeiten nur stören würden.

Die Leser müssen sich mit einer Kürzestnachricht auf der letzten Seite zufriedengeben: „Hahnenkamm-Topfavorit Paris erlitt Kreuzbandriss“ (22. 1.) Viel mehr erfahren sie nicht. Auch nicht den die Spannung treibenden Hinweis auf das Angriffspotenzial des Super-G-Weltmeisters bekommen sie. Die APA schließt ab. „Der vierfache Sieger auf dem Hahnenkamm – dreimal in der Abfahrt, einmal im Super-G – galt auch heuer auf der Streif in Kitzbühel als einer der Topfavoriten für die Rennen dieser Woche.“

Auf die Seite „80 Jahre Kitzbühel“ folgt tags darauf die Reportage „Stars und Sorgenkinder auf der Streif“. Es findet sich bloß eine Erwähnung des Südtirolers, er ist ja für die ganze Saison ausgeschieden ( 23. 1.). Und selbst die „Presse am Sonntag“ spendet nach dem österreichischen Doppelsieg auf der Streif nicht einmal eine Nebenbemerkung über den lahmgelegten Südtiroler: „Die perfekte Show der Skination“, lautet der stolze Titel mit Österreich-Bezug (26. 1.).

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Bilden mehrere Hauptwörter das Subjekt eines Satzes, dann verlangt das Zeitwort den Plural – das sollte auch im Themenkasten zu „Hahnenkamm-Legenden“ gelten: „Sieger, Rekordfahrer und Sturzopfer bleibt unvergessen“ (22. 1.)

Die Zeitung verweist auf „eine Studie des Roten Kreuzes, wonach die Hälfte der Millennials damit rechnet, dass es in den nächsten zehn Jahren zu einem Angriff mit Atomwaffen kommt“ (18. 1.). Weiß jedermann, was Millennials sind? Ich zweifle und ergänze: Als „Millennials“ werden die zwischen Anfang der 1980er- und den späten 1990er-Jahren Geborenen bezeichnet. Sie gelten als Nachfolgegeneration der „Boomers“.

„Die Presse“ konstatiert unter Bezug auf Christoph Wiederkehr, den Neos-Klubchef: „Wiens ehemalige Finanzstadträtin Renate Brauner hat nicht nur einen überdimensional großen Schuldenberg hinterlassen, sondern sie hat den Bürgerinnen und Bürgern auch noch weiß machen wollen, dass ihr von uns viel kritisiertes Risikogeschäft mit den Franken-Krediten einen Nettovorteil von 300 Millionen Euro gebracht hat“ (18. 1.). Brauner hat nichts weiß, sondern tiefrot gemacht, nämlich jährliche Abschlüsse der Wiener Budgets. Das hat aber nichts mit dem mittelhochdeutschen „wīs machen“ zu tun, das heute „weismachen“ geschrieben wird und „einreden“, „glauben machen“ oder „jemandem etwas aufbinden“ bedeutet.

Am vorigen Sonntag finde ich wie üblich die Zeitung vor der Wohnungstür, werfe wie üblich einen Blick auf die Titelseite – und eine große schwarze Katze starrt mich an. Gemalte Katzen und vor allem Feldhasen mag ich ja, aber altmodisch wie ich vielleicht bin, ist für mich noch immer die geschriebene Nachricht das Wesentliche einer Zeitung, besonders auf der Titelseite, selbst wenn sich das Kleid der Nachricht evolutionär wie vieles verändert. Mein sofort aufkeimendes Vorurteil, die Zeitung sei diesmal etwas dünn geraten, wird widerlegt. Sie hat, wie fast an jedem Sonntag, 48 Seiten.

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Die allseits beliebte Frauenquote lässt sich auch im Nachhinein erhöhen. Zur Kommunalwahl in Niederösterreich, die von der Landeschefin als „Mutter aller Schlachten“ tituliert wurde, fügt die „Presse“ eine denksportliche Historie über den heutigen Nationalratspräsidenten, Wolfgang Sobotka, hinzu: „Und sieht Sobotka, der seine Karriere als Bürgermeisterin in Waidhofen an der Ybbs begonnen hat, die Gemeinderatswahlen in Niederösterreich auch als ,Mutter aller Schlachten‘?“ (25. 1.). In derselben Ausgabe heißt es an anderer Stelle passend: „Feministinnen glauben, dass Frauen immer absichtlich außen vor gelassen werden.“ Für Sobotkas frühe Jahre in Waidhofen, wo er Bürgermeisterin gewesen sein soll, gilt das gewiss nicht. Übrigens habe ich schon oft mit Kopfschütteln gefragt, was an dem Kunstbegriff „außen vor lassen“ schön sein soll, außer dass er in norddeutscher Schieflage bei uns einwandert?

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist und Mitbegründer der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2020)

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