Wir haben keine Bürger, die ihr Recht einfordern

Karl Korinek hatte mit seinem DDR-Vergleich nicht so Unrecht: Wir opfern allzu gerne Freiheit für Sicherheit.

Karl Korinek, der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, ist viel gescholten worden für seinen Vergleich zwischen den österreichischen Überwachungsmethoden und denen der DDR-Staatssicherheit. Das Motiv des Spitzenjuristen wurde wohl allgemein gewürdigt: das Aufstellen eines Warnschildes, das den schleichenden Übergang von der Befriedigung legitimer Sicherheitsinteressen zum illegitimen Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte der Bürger anzeigt. Aber der Vergleich mit dem totalitären Terror des SED-Regimes, das sich der Stasi als „Schild und Schwert“ gegen die eigenen Bürger bediente, wurde durchwegs als alarmistische Übertreibung zurückgewiesen, auch in dieser Zeitung.

Man tat das gelegentlich unter Hinweis auf den oscargekrönten Film „Das Leben der Anderen“, in dem der verstorbene Ausnahmeschauspieler Ulrich Mühe einen Stasi-Offizier spielt, der in einer Motivmischung aus orthodoxem Sozialismus und aussichtsloser Verliebtheit einen Regimekritiker schont und sich dabei seine Karriere ruiniert. Der Film zeigt auf beklemmende Weise die Perversion des Arbeiter- und Bauernstaates zur Selbstverwirklichungsmaschine von allzeit vernichtungsbereiten Karrieristen. Genau das aber, so die Kritik an Korinek, könne man dem österreichischen Staat und seinen politischen Vertretern nicht unterstellen, wenn sie nach mehr Überwachungsmöglichkeiten rufen.

Nun ja. Es wäre wohl tatsächlich etwas elefantös, den biederen Tiroler an der Spitze des österreichischen Innenministeriums mit dem schmierigen DDR-Kulturminister aus dem „Leben der Anderen“ zu vergleichen, der einen Schriftsteller überwachen lässt, weil er dessen Freundin ganz für sich haben will. Ob man in Österreich aber auch den hohen Polizeioffizier nicht finden würde, der das schmutzige Spiel mitspielt, erscheint inzwischen schon etwas weniger sicher.


Wirklich interessant ist aber der Blick auf die Motive jener, die mitspielen. Der Schriftsteller etwa, der sich mit dem System ganz gut arrangiert hat, weil es ihn mit dem Notwendigen versorgte und ihn als Gegenleistung für seinen Verzicht an offener Kritik ganz gut leben ließ. Oder seine unter Selbstzweifeln und Tablettensucht leidende Freundin, die keine andere Möglichkeit sieht, als sich mit dem hässlichen Staatsterroristen einzulassen, weil er bestimmt, ob sie als Schauspielerin auf der Bühne steht oder nicht: Sie alle verzichten, vor die Wahl zwischen Freiheit und Sicherheit gestellt, zunächst einmal auf die Freiheit zu Gunsten der Sicherheit. Sie schweigen, bis die Katastrophe sie zum Handeln zwingt.

Ungefähr so, wie heute in Österreich die überwältigende Mehrheit schweigt, wenn der Staat sich zum nächsten Schritt in der Einschränkung der individuellen Freiheit im Interesse der öffentlichen Sicherheit anschickt. Gewiss, wir Österreicher werden vom Staat nicht mit Gefängnis bedroht und im Land eingesperrt. Aber hat das dröhnende Schweigen der österreichischen Bevölkerung zum fröhlichen Marsch in Richtung Überwachungsstaat nicht auch damit zu tun, dass dieser Staat als Belohnung für das Stillhalten und Sich-fügen-ins-Unerlässliche die weitgehende Befriedigung der eher einfachen Bedürfnisse anbietet?


Die Argumentation jener Überwachungsgegner, die aus dem grünen bis linksliberalen Umfeld kommen, bestätigt das eindeutig: Sie erklären, wie jüngst ein Kommentator im „Standard“, ziemlich offen, dass ein Staat, der mit Blick auf Globalisierung und Sozialsysteme nicht mehr in der Lage sei, die früheren Sicherheiten zu gewährleisten, sich einer besonderen Zurückhaltung in der Einschränkung der persönlichen Freiheit unter dem Banner der Terrorismusbekämpfung befleißigen müsse.

Im Umkehrschluss kann das ja wohl nur heißen, dass Vater Staat getrost die Schlafzimmerkamera in Betrieb halten darf, wenn er nur weiterhin brav für Futter, Rente und Abfangjäger sorgt. Das Problem der Grünen und Linksliberalen ist nicht, dass Freiheit für Sicherheit geopfert werden soll, das würden sie nur allzu gern, vom öffentlich finanzierten Vierfachabbruchstudium bis zur Hacklerrente. Sie beweinen nicht den Verlust der Freiheit, sondern das Bröckeln der wohligen Sicherheiten.

Die ÖVP begnügt sich derweil mit dem Tunnelblick auf die rechte Positionierung ihres Sicherheitsministers. Was einmal mehr bestätigt, dass es ein „bürgerliches“ Lager in diesem Land nicht gibt: Der Mensch, dem seine individuelle Freiheit mehr wert ist als die entmündigende SicherheitsiIllusion des Staates, wird politisch nicht vertreten.


michael.fleischhacker@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2007)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.