Die britische Premierministerin hat eindrücklich bewiesen, dass sie keinen mehrheitsfähigen Brexit-Deal zustande bringt. Sie sollte zurücktreten.
Theresa May hat in diesen endlosen Brexit-Monaten des Missvergnügens eine erstaunliche Standfestigkeit gezeigt. Ihre zähe Hartnäckigkeit ringt mittlerweile vielen Bewunderung ab, vor allem außerhalb Großbritanniens. Dass sie klein bei- oder schnell aufgäbe, hat der konservativen Premierministerin noch niemand vorgeworfen. Auf die Idee, sie für politisches Geschick und Weitblick zu loben, wäre allerdings auch noch keiner gekommen.
So ausdauernd die Marathonfrau in der Downing Street 10 sein mag, leider läuft sie nur noch im Kreis. May hat sicherlich einen der schwierigsten Jobs, der derzeit auf der Weltbühne zu vergeben ist. Ebenso außer Zweifel steht jedoch, wie wenig sie dieser Aufgabe gewachsen ist. Die Regierungschefin hat ihre Unfähigkeit, einen mehrheitsfähigen Brexit-Deal auszuhandeln, nachdrücklich unter Beweis gestellt. Vielleicht kann dieses Kunststück niemand mehr zuwege bringen. Eines jedoch steht fest: May ist dazu nicht in der Lage. Sie sollte deshalb möglichst bald aus freien Stücken den Vorsitz in Partei und Regierung zurücktreten, auch wenn sie am Mittwochabend den Misstrauensantrag der Opposition überstanden hat.
In ihrer Amtszeit reiht sich eine Fehlentscheidung an die andere, die erste fällte sie schon davor: Sie hätte den Premierposten, den Brexit-Befürworter wie Boris Johnson feige scheuten, nie annehmen dürfen. Die Pflichtbewusste überschätzte sich. Der ganze Prozess war falsch aufgesetzt. Tories aus dem Brexit-Lager hätten Verantwortung übernehmen müssen, nicht jemand wie May, die für den Verbleib in der EU plädiert hatte. Zu früh, nämlich bevor sie sich über ihre Strategie im Klaren war, aktivierte sie dann den EU-Ausstiegsartikel 50. Ab diesem Moment lief ihr die Zeit davon. Ohne Not legte May rote Linien fest und engte damit ihren Verhandlungsspielraum mit der EU selbst ein.
Fatal wirkten sich auch ihre innenpolitischen Rechenfehler aus. Ihre Eingebung, die Parlamentswahlen auf Juni 2017 vorzuziehen, endete mit einem Schuss ins Knie. Nach einem unterirdisch schlechten Wahlkampf Mays verloren die Tories ihre absolute Mehrheit und waren fortan auf die nordirische Democratic Unionist Party angewiesen. Das machte das Regieren nicht einfacher. In Demokratien liegt die Essenz des politischen Handwerks darin, Mehrheiten zu organisieren – in der eigenen Gesinnungsgemeinschaft oder, wenn es sein muss, über Parteigrenzen hinweg. Die Tory-Chefin ist da wie dort kläglich gescheitert. Mehr als 100 Abgeordnete aus den eigenen Reihen haben ihr bei der Abstimmung über den Brexit-Deal die Gefolgschaft verweigert; zu den Sozialdemokraten versuchte sie erst gar nicht den Brückenschlag, wiewohl dies unter deren alt-linkem Vorsitzenden, Jeremy Corbyn, zugegebenermaßen vermutlich ein uferloses Unterfangen wäre.
Große Koalitionen haben in Großbritannien keine Tradition, außer in Zeiten des Notstands wie während des Ersten und Zweiten Weltkriegs oder der Weltwirtschaftskrise. Jetzt droht wieder eine Krise. Eine Brexit-Koalition, so sinnvoll sie von der Ferne erscheint, wird wohl trotzdem nicht zustande kommen. Denn das könnte beide Großparteien spalten und zu einer Umwälzung des politischen Systems entlang der Brexit-Bruchlinien führen, die sich ja mitten durch die Tory-Partei und Labour ziehen.
Der Karren ist verfahren. May hat keine Mehrheit für ihren Brexit-Deal, hält aber am EU-Austrittsdatum fest, und die EU weigert sich, neu zu verhandeln. Wenn sich keiner bewegt, ist ein Crash, ein unkontrollierter Brexit ohne Abkommen, unvermeidlich. An den Plan B, den May am Montag vorlegen sollte, glauben nur Träumer. Sie hatte schon keinen funktionierenden Plan A.
May kann nur noch eine Karte ziehen, um Dynamik ins Spiel zu bringen. Mit ihrem Rücktritt. Dann eröffnen sich zumindest theoretisch Möglichkeiten für neue Mehrheits- und Verhandlungskonstellationen, dann gäbe es ein triftiges Argument, auf die Brexit-Stopptaste zu drücken, bis sich eine Nachfolgeregierung in London sortiert hat. Die Methode May hat nicht geklappt. Vielleicht gelingt es ohne sie auch nicht, einen glimpflichen Ausgang des Brexit-Dramas herbeizuführen. Doch es ist einen Versuch wert. Es ist eine letzte Chance.
E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2019)