Warum es hier keine Gelbwesten geben wird

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Politik für die (untere) Mittelschicht: Das ist so etwas wie der rote Faden der bisherigen türkis-blauen Regierungszeit. Nicht zuletzt im Eigeninteresse.

Die Ausgangsposition war eine ähnliche. Eine politische Bewegung – das war nach dem Wahlsieg von Emmanuel Macron 2017 der letzte Schrei aus Paris. Auch Sebastian Kurz ließ sich davon inspirieren. Der leichtfüßigere Neo-ÖVP-Chef tat das, wozu der schwere Tanker SPÖ nicht in der Lage war: Er machte aus der Partei kurzerhand eine Bewegung.

Was En marche in Frankreich war, das war nun die Liste Kurz in Österreich. Jedenfalls von der Anmutung her, für die Wahlbewegung – als es um die Listenbezeichnung ging, griff man doch wieder auf die ÖVP zurück, um den zweiten Platz auf dem Stimmzettel nicht zu verlieren. Dennoch: Ein Erfolgsmotiv bei der Nationalratswahl war es, als Bewegung wahrgenommen zu werden, in der nicht mehr der Parteiapparat, sondern der Spitzenkandidat im Vordergrund stand. Wie bei Macron in Frankreich, dem Shootingstar der europäischen Politik jener Tage.

Doch mittlerweile haben sie eine andere Abzweigung genommen. Macron tat das, was von den Gegnern als „neoliberal“ tituliert wird, eine Reformpolitik, die das Land (wieder) wettbewerbsfähig machen soll, die aber als Politik für die Eliten interpretiert wird, deren augenscheinlichster Repräsentant Macron selbst ist. Seit Wochen sieht er sich der Protestbewegung der Gelbwesten gegenüber, Angehörigen der Mittelschicht und unteren Mittelschicht, die sich vernachlässigt fühlen.

Auch Sebastian Kurz sieht sich einer Protestbewegung gegenüber. Diese besteht allerdings mehr oder weniger aus der klassisch links bis linksliberal sozialisierten Zivilgesellschaft. Eine Protestbewegung nach Art der Gelbwesten gibt es hierzulande nicht. Und es wird sie höchstwahrscheinlich auch nie geben.

Weil die Regierung Kurz Politik für die „Gelbwesten“ macht, also für die Mittelschicht bis untere Mittelschicht. Menschen, die arbeiten gehen, die Kinder haben, die mitunter auch das Gefühl haben, dass sie in der Früh aufstehen und andere nicht – und die trotzdem nur knapp über die Runden kommen.

Für diese Menschen gibt es den Familienbonus plus, für diese Menschen werden nun die Steuertarife angepasst, damit mehr Netto vom Brutto bleibt. Für die Geringverdiener unter ihnen werden die Sozialversicherungsbeiträge reduziert.

Dieser rote Faden zieht sich bis in die Bildungspolitik. Auch hier gilt: Leistung soll sich wieder lohnen. Und die deutschsprechenden Kinder, eben auch jener Eltern, die sich keine Privatschule leisten können, sollen in ihren Lernfortschritten so wenig wie möglich behindert werden. Daher wurden die Ziffernnoten wieder eingeführt und eigene Deutschlernklassen eingerichtet.

Ökosteuern wurden auch keine eingeführt. Selbst die Mineralölsteuer wurde letztlich nicht angetastet. So gesehen kann das bunte Sammelsurium an Forderungen der Gelbwesten in Frankreich – weniger Steuern, mehr Lohn, weniger EU, weniger Migration, mehr Integration – in Österreich als weitgehend erfüllt angesehen werden. Wenn man von Frankreich-Spezifischem wie dem Wunsch nach mehr Protektionismus und mehr Staatseinfluss in der Wirtschaft und der historisch größeren Affinität zu Revolte und Revolution absieht.

Auch wenn der türkis-blauen Regierung oft vorgeworfen wird, sie würde Politik im Sinn der Industriellenvereinigung und der Unternehmer machen – das schon auch –, macht die Regierung nicht zuletzt im Eigeninteresse Politik für die (untere) Mittelschicht. Will sie die nächsten Wahlen gewinnen, wird sie diese brauchen. Diese Regierung hat – nicht unähnlich den Republikanern Donald Trumps – eine Allianz aus Unternehmern, Arbeitern und kleinen Angestellten zustandegebracht. Es ist vor allem das Migrationsthema, das Letztere an ÖVP und FPÖ bindet. Auch hier vermittelt die Regierung das Gefühl, nun genauer hinzusehen, Anforderungen zu erhöhen, die Toleranzschwelle zu senken.

Bei der Politik für die untere Mittelschicht wird die Handschrift der FPÖ deutlich. Die Kurz-ÖVP trägt diese aber federführend mit. Aus wirklicher Überzeugung? Aus taktischer Sicht jedenfalls.

Wenn diese Koalition aus ÖVP und FPÖ eine bürgerliche Regierung ist, dann ist sie eine kleinbürgerliche Regierung.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2019)

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